Die alte Frau und das Meer

Am Rand der Küste

Am Rand der Küste

Vielleicht ist die alte Frau gar nicht einsam.
Na ja, sie schlurft so seltsam um einen freien Tisch rum, als ich mich umdrehe und mit kalter Cola und einem Panini vom Kiosk zu unserem schattigen Plätzchen zurück gehe. Ein paar Plastikstühle unter Platanen und Palmen, der wahrscheinlich einzige grüne Rasen an der gesamten Côte d’Azur, ein bisschen Schatten für das kleine viertelfinnische Sandmädchen und ein wundervoller Blick über das Wasser. Die furchtbaren Hotelburgen kann die Frau von hier aus nicht sehen. Die waren früher auch noch nicht da. Auch nicht die Russen und Engländer. Irgendwie unbeholfen setzt sie sich auf einen der wackeligen Stühle und guckt verwirrt in die Ferne, fast schon pathetisch, aber für echten Pathos ist ihr Blick zu leer.

Während ich den herrlich ungesunden teuren Kram vor meinen beiden Damen ausbreite und wir uns auf salziges Essen und süßes Trinken stürzen knackt sie sich ein einziges Kronenbourg. Sie gießt das Bier schäumend in das Glas und guckt weiter auf das Mittelmeer, als wäre genau hier der Platz, an dem sie vor langer Zeit etwas sehr wertvolles verloren hätte.

Nicht mehr ihr Mittelmeer

Nicht mehr ihr Mittelmeer

Buntes, pauschaltouristisches Treiben am frühen Nachmittag an einem der heißesten Tage des Jahres. Die alte Frau fällt in ihrem Kleid und mit den schön lackierten Fußnägeln in den Sandalen zwischen all den Menschen hier gar nicht auf. Sie nippt zwei, dreimal an dem Bier aus dem Kiosk hinter uns und packt ein selbst mitgebrachtes Sandwich aus. Weißer Toast und roher Schinken. Sie lacht kurz und laut über etwas, was nur sie ganz allein hört und guckt zu der neuen Generation junger Franzosen rüber. Teenager mit Arschgeweihen, die laut und respektlos sind und überall einen riesen Saustall hinterlassen. Nein, es ist nicht mehr die Belle Époque, nicht mehr die wilden, stilvollen 20er, keine Sommerfrische und auch keine swinging Sixties. Wann auch immer sie gelebt haben mag, diese Zeit ist vorbei. Trotzdem sitzt sie heute hier, mit einem selbst gekauften Bier. Und sie blickt immerhin auf die mondäne Côte d’Azur, so als wäre alles noch immer wie damals, als sie mitten im Leben stand.

Kein Anschluss unter dieser Nummer

Kein Anschluss unter dieser Nummer

Die alte Frau holt ein antikes Handy aus ihrer Tasche und wählt umständlich über mehrere Minuten eine kurze Telefonnummer. Die lauten Rüpel sind feiernd weitergezogen, die meisten anderen Menschen fliehen vor der Wärme mit ihren klimatisierten Autos in ihre klimatisierten Hotelzimmer. Meine beiden Frauen und ich ziehen ebenfalls von dannen (wir haben noch lustige Sachen heute vor, ich will noch Fotos machen und wir und wollen am Abend schön Essen gehen). Mit dem Telefon am Ohr spricht sie viel zu laut in einem fast unverständlichen französischen Dialekt. Ihr Sandwich ist aufgegessen. Das Bier ist ausgetrunken. Ihr Ticket, hier sitzen zu dürfen läuft langsam ab.
Vielleicht ist die alte Frau gar nicht einsam.
Vielleicht ist auf der anderen Seite des Telefonats aber auch nur die automatische Zeitansage.

Sandmann

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Über Sandmann

Die Zeit ist zu knapp für langweilige Autos, Abende vor dem Fernseher oder schlechten Wein. Ich pendel zwischen Liebe, Leben und Autos und komme nicht zur Ruhe. Aber ich arbeite daran.

8 Antworten zu Die alte Frau und das Meer

  1. Markus1975 sagt:

    Hey Jensi

    Viel Sonne, bombige Temperaturen…die haben wir hier auch. Nur müssen wir / ich ARBEITEN!!! Und das bei fast 40 Grad in der Halle. Wurgs.
    Wir sollten aber anfangen in die Zukunft zu schauen und nicht in der Vergangenheit, sagen wir einmal, nachtauern?
    Es ist SOMMER! Endlich

    V8 mäßige Grüße

    Markus

    • Sandmann sagt:

      Ay Markus,

      selten habe ich so fröhlich in die Zukunft geschaut wie in diesem Sommer 🙂 Ich habe ja nur meine Gedanken zu dieser alten Frau reflektiert… Und wie geschrieben, es kann ja sein, dass ich mich total getäuscht habe. Wer weiß? Ich wünsche es ihr.

      Sommer, sagst du? Laut Wetterbericht sind übermorgen in Hamburg 17 Grad. SIEBZEHN. Das ist halb so viel wie hier in Saint Raphael jetzt um 21:53 Uhr. HALB – SO – VIEL 🙁 Verdammt, ich will noch bleiben……..

      Sandmann

  2. Marc R. sagt:

    Sehr feinfühliger Bericht, leider erkennt man solche touristischen „Hotspots“ kaum mehr nach einigen Jahren. Es wird alles zugebauter, unpersönlicher und die Touris oft respektloser. Man ist nicht mehr in einem Reiseland welches man erkundet, sondern am Meer um die Sau rauszulassen. Schade.

    • Sandmann sagt:

      Ay Marc,

      es ist ja nicht überall so. Ich wollte mich auch nicht über irgend etwas „beschweren“, wir haben hier gute Zeiten und sind von den Franzosen sehr gut behandelt worden. Vermutlich, weil wir ziemlich gut französisch sprechen und das auch tun 😉

      Es gab schon früher Orte, die ich mit dem Arsch nicht angeguckt hätte. El Arenal und ähnliche Partymeilen. Als ich vorgestern auf zwei Pizzen „a emporter“ wartete ließ sich der Pizzabäcker episch über die völlig wahnsinnigen Preise dieses Teils der Côte d’Azur aus. Sobald die Franzosen (alle gleichzeitig) Ferien haben, steigen alle Preise sprunghaft an. Ein Apartement für vier Personen in Meeresnähe liegt bei 2000 Euro die Woche. Ein Liegeplatz für ein Boot kostet 8000 Euro pro Monat, zahlbar 10 Jahre im Voraus. Krass.
      Wir waren vorher eine Woche in Hyeres. Da war es entspannt, wunderschön und relativ preiswert. Es gibt sie, die schönen und nicht überlaufenen Ecken in Südfrankreich, genau wie es die anderen Ecken gibt. Man muss nur ein bisschen suchen 🙂

      Sandmann

      • Hihi, Jens findet auf einer runden Erdkugel schöne Ecken.
        Manchmal findet man völlig unverhofft total schöne Fleckchen, wenn man mit dem Rad oder Auto unterweg ist und möchte am liebsten genau an diese Stelle neben der großen Eiche ein Haus bauen und alt werden.
        Das sieht aber nur der, der mit offenen Augen durch die Welt geht und nicht stur seine Urlaubspunkte abhakt, sondern sich treiben lässt.

        Da fällt mir ein, mein letzter Urlaub ist schon 2 Jahre her!

        Grüße von einem kleinen Bauernhaus mitten im Grünen, wo eigentlich immer Urlaubsstimmung herrscht, selbst wenn man im Büro sitzt.

        • Sandmann sagt:

          Ay Büro-Urlauber 🙂

          meine Augen sind seit ein paar Jahren sehr offen für ruhige, friedliche Plätze. Und an einfachen Dingen erfreue ich mich schon mein Leben lang…
          Gerade im Urlaub suche ich diese stillen Oasen, die nicht völlig überlaufen sind. Mit einem kleinen Kind hast du fast keine andere Chance, wenigstens ein bisschen Erholung zu bekommen. Deshalb schwöre ich auch immer noch auf die Calanques bei Cassis. Da ist es nicht wirklich leer, aber um da hin zu kommen musst du gut 30 Minuten zu Fuß durch die pralle Sonne laufen. Das nehmen träge Pauschaltouristen oft nicht auf sich 😉

          Ich arbeite mittelfristig an einer kleinen, aber feinen Immobilie, wo meine Liebste einen kleinen Garten hat und ich eine Schrauberhalle für drei Autos. Aus verschiedenen Gründen ist mir das momentan noch verwährt, aber wenn ich brav bin und hart arbeite komme ich im Alter vielleicht dort zur Ruhe…

          Sandmann

          P.S.: Mach mal Urlaub!

  3. Markus1975 sagt:

    Hey Jensi

    Ich schaue nach draußen. Es ist windig, KALT und regnerisch. Verdammt! Ja haben wir denn Herbst? 😉
    Schafskälte, die kalte Sophie…mönsch. Wir haben SOMMER. Ja wo isser denn? Erst werden wir gegrillt und dann abgeschreckt wie die Eier nach dem kochen. Am Wochenende sollen die Temperaturen wieder nach oben gehen. Yes! Und ich habe nächste Woche Nachtschicht. Super! Um sechs Feierabend, ab 13 Uhr wieder hoch, den hoffentlich schönen Tag genießen, abends noch einmal an der Matratze horchen und dann wieder los. Und weißt Du was? Danach habe ich drei / DREI Wochen Urlaub

    V8 mäßige Grüße

    Markus kurz vor der Spätschicht

    • Sandmann sagt:

      Ay Schrauber,

      deinen Urlaub habe ich gleich mal dem André mitgeteilt, der meldet sich bei dir, er hat ja noch was mit seinem Z vor 🙂 Nicht dass du auf die Idee kommst, dich erholen zu wollen…

      Irgendwie deprimiert mich die Kälte in Deutschland (20 Grad weniger als noch vor drei Tagen…) gar nicht so. Es ist immer wieder schön, nach Hause zu kommen. Ich glaube, ich habe meine Jobs und meinen Alltag richtig eingerichtet.

      Jetzt erstmal WOCHENENDE! 🙂

      Sandmann

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