Ode an ein Lemon Car

Die 80er vor Augen...

Die 80er vor Augen…

Wie ich lernte, eine Gurke zu lieben.
Ich bin Sammy. Ich hab ein echt vernünftiges Auto, und dann ist da noch mein Rollstuhl, also wurde es mal Zeit für was Unvernünftiges 🙂 2005 warf ich ein Auge auf Cabrios, so als Zweitwagen, aber hier im 17. Bundesland (Mallorca) gibt es keinen Markt für gebrauchte Autos wie in Deutschland. Schwacke? Nö. Hier ruft jeder auf was er meint, also nichts, woran man sich realistisch orientieren könnte. Aufgrund meiner Behinderung musste es dann ein Cabrio mit Automatik UND elektrischem Verdeck sein, was die spärliche Auswahl noch mehr einschränkte. Ich erfuhr im Bekanntenkreis von einem Chrysler Le Baron, Automatik, elektrisches Verdeck, Klimaautomatik (sehr wichtig, nur Touris fahren im Sommer offen). Ich habe erst gar nicht nach dem Preis gefragt, „hau mir ab mit dieser Kiste„, der schlechte Ruf dieser Lemon-Cars war mir bekannt. Obwohl…. hm…  ich gestehen muss, die Form der alten Version mit Klappscheinwerfern hat mir schon immer gefallen. Hm.

Ein top gepflegter 318i-e30 der allerletzten Baureihe wurde mir gerade regelrecht vor der Nase weggeschnappt. Einfach ist das nicht hier. Wochen später, als ich mal wieder darüber jammerte, kein brauchbares Cabrio zu finden, wurde ich noch einmal gefragt, ob ich nicht doch Interesse hätte – und fragte mal nach dem Preis. 3000€, natürlich VHB. Ups… das war dann doch Grund genug, mir das ungeliebte Zitrönchen näher anzuschauen…

Okay, warum nicht...?

Okay, warum nicht…?

Ich wurde vor Ort positiv überrascht, zwar präsentierte sich der Chrysler in tuntenbrombeer-metallik wie mein (vernünftiger) Van, doch mit viel Chrom außen und der dunkelroten, damals aufpreispflichtigen Kunstlederausstattung (welche bei kurzberockten Beifahrerinnen schonmal zu Verbrennungen 1. Grades an unangenehmen Stellen führen kann). Außerdem ein sowas von 80er-digitales Cockpit mit 135.000 km auf der Uhr, umrahmt von echtem Wurzelholzimitat aus Plastik (1989 der letzte Schrei in „Amerikanien“) und genau wie die vier Scheibenbremsen (einer der wenigen Amis, der außer geradeausfahren auch bremsen kann) Bestandteil der Premium-Version des Barons.

Der dunkelrote Innenhimmel aus Velours vervollständigte dann das Puff-Ambiente.
Ein Blick unter die Motorhaube offenbarte nach kurzem Suchen, gut versteckt unter dem Luftfiltergehäuse, einen quer eingebauten 2,5ltr-4 Zylinder mit 97 bis 101PS (je nach Eintrag) und einer 3-Gang-Automatik, also gottseidank kein Turbo oder ein auch gern verbauter 3,0-V6 von Mitsubishi, bei einem generellen Tempolimit von 120km/h und 90km/h in Spanien war mir das auch ziemlich wurscht.

Porno, wie Porno nur sein kann

Porno, wie Porno nur sein kann

Nach 2 Tagen Bedenkzeit (der Ruf ist ja sowas von schlecht) habe ich den Besitzer dann auf 2500,-Euros heruntergehandelt. Meine erste Aktion noch vor Ort war der Einbau eines Handgas.

Es war einmal...

Es war einmal…

Vor 17 Jahren habe ich einen schweren, selbstverschuldeten Motorradunfall mit meiner Kawasaki Z1000 irgendwie überlebt. Vermutlich war das die Konsequenz aus einem viel zu schnellen Leben auf der Überholspur, seit dem sitze ich im Rollstuhl. Ich hab’s damals auf dieser warmen spanischen Insel mit einem Neuanfang probiert und gute Freunde gefunden. Eine sehr erfolgreiche Website über barrierefreie Reisen für Rollstuhlfahrer auf Mallorca betrieben und sogar Freunde von mir „nachgezogen“, die dort heute einen Custombike-Bau und eine Chopper-Schmiede betreiben. Aber auch in Spanien ist die Welt nicht rundrum in Ordnung, und so sind wir inzwischen wieder in Friesland angekommen. Da ist es schön flach, das kommt mir ganz gut entgegen. Soweit zu mir, zurück zum Wagen. Als das Handgas drin war hab ich den gleich mitgenommen, die erste Fahrt im ersten eigenen Cabrio fand natürlich (wir sind ja auf einer Sonneninsel) im strömenden Regen statt.

So sah es dann ohne Regen aus.

So sah es dann ohne Regen aus.

Zuhause habe ich mich erstmal vors Internet gesetzt und stieß auf ein (sehr kompetentes) Baron-Forum, durch welches ich etliche Tipps und Anleitungen bekam. Außerdem fand ich heraus, dass mein Baron neben der Premium-Line noch eine Besonderheit aufzeigte, die mir bis heute einigen Ärger bereitet: Er wurde für Californien gebaut, äußerlich zu erkennen an diesen komischen Lampen unter den vorderen Sidemarkern und dem Abbiegelicht, was früher Vorschrift im Sunshine State war (viele Corvettes und Cadillacs haben die auch). Eine Abfrage des VIN-Codes bestätigte das.

Schrauben, bis alles wieder geht

Schrauben, bis alles wieder geht

Das Abbiegelicht habe ich reaktiviert, natürlich ausschließlich um unbedarfte Fußgänger an der Ampel zu erschrecken, wenn sie beim Abbiegen sehen, wie dreckig ihre Schuhe sind. Ich habe dem Chrysler die Sidemarker und seine originalen US-Rückleuchten wieder verpasst, die chillige Beleuchtung in der Kofferraumblende funktioniert auch wieder. Leider hat der spanische TÜV (ja, sowas gibt es hier und die können richtig pissig sein) was gegen rote Blinker – und so mussten dann zusätzliche gelbe Motorrad-Verkleidungsblinker mit E-Zeichen verbaut werden. Mittlerweile fahre ich den Baron seit 40.000 km und stelle fest, mechanisch ist er (viel) robuster als erwartet! Selbst ein Zahnriemenriss bei 136.000 km, verursacht durch den Wartungsstau der 2 (blonden) Vorbesitzerinnen, konnte keinen Schaden anrichten, da der Motor ein sogenannter Freiläufer ist (8,5:1 verdichtet). Welch Glück, auch das alte A424-Getriebe schaltet seine 3 Gänge immer noch butterweich, was nicht nur dem Charakter des Autos, sonder auch seinem Fahrwerk (trotz neuer Monroes rundum) zu Gute kommt.

Fehler finden, nicht immer einfach

Fehler finden, nicht immer einfach

Aber die Elektrik ! Chrysler hat in den 80ern versucht, mittels elektronischem Motormanagement den verschärften Abgasgesetzen nachzukommen und das speziell auch bei meiner California-Ausführung perfektioniert. Nicht nur die Abgasrückführung wird elektronisch „gemanagt“ oder die Kurbelgehäuseentlüftung durch einen Aktivkohlefilter gereinigt, nicht genug, dieser ist auch noch an das Steuergerät gekoppelt – also wenn schon Mist dann richtig. Im Allgemeinen birgt die Bordelektrik jede Menge versteckte Fehlermöglichkeiten, die wahrscheinlich zu dem schlechten Ruf führten. Angefangen bei Steckverbindungen, die im Laufe der Jahre den Weichmacher verlieren und dann beim demontieren zu Staub zerfallen (wie mir das nicht nur beim Ausbau des Leerlauf-Stellmotors (AIS) passierte). Bis zu den hinteren Fensterhebermotoren, die bei jedem grösseren Regen absaufen und schon im Mercedes W124 für Ärger sorgten, doch Chrysler scheint es geahnt zu haben und lässt ein Auslesen des Fehlerspeichers fern einer Werkstatt per Zündschlüssel zu.

Telespiele: Vier mal Zündung an und aus und aufmerksam die Blinkintervalle der „Check-Engine“ -Leuchte mitzählen, den Code anhand der (mittlerweile im Handschuhfach mitgeführten) Codeliste erkennen und schwupps hat man zumindest einen Anhaltspunkt, wo der Fehler liegen könnte. Und glaubt mir, sowas ist Gold wert, wenn man z.B. in Sa Calobra auf 700m Höhe liegen bleibt, weil das ASD-Relais (Automatic Shut Down) kapitulierend den Dienst quittiert hat. Woher soll man sonst wissen, dass dieser 2Euro-Artikel die Zündung und die Benzinpumpe lahmlegt, wenn nach 15 Sekunden doch nicht gestartet wird??? Eine zweckendfremdete Haarklammer ließ uns dann erstmal weiterfahren 😉

Hanna ist dabei

Hanna ist dabei

 

Mittlerweile liebe ich diesen Wagen und nenne ihn wegen seiner ganzen Unzulänglichkeiten „Diva“, er ist fast perfekt für die Insel (eine Tour durch Spanien oder Deutschland traue ich ihm nicht zu) und selbst die arabischen Kronprinzen, die immer in der Woche vorm Monaco-F1 mit ihren Lamborghinis und Aston-Martins den Passeo-Maritimo in Palma unsicher machen, behandeln ihn mit sowas wie Respekt. Wahrscheinlich, weil sie ihn nicht einordnen können, oder ist es etwa Mitleid, weil sie wissen, dass mich jeder 60PS-Polo an der Ampel nassmachen würde??? Wie auch immer… 😉

Reif für die Insel

Reif für die Insel

Autos kommen und gehen. Es gibt noch einen „Baron reloaded“, der ist blau, vielleicht wurde dieser rote hier auch schon auf Mallorca gestohlen und ich könnte auch noch ein paar Worte über einen Mercedes 320 CE verlieren. Aber (ich zitiere Sandmann) das ist eine andere Geschichte 🙂 Habt eine gute Zeit und passt auf euch auf. Bis bald.

Sammy

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Über Sammy

Besitzer eines 1989er Chrysler Le Baron Turbo, der Diva...

22 Antworten zu Ode an ein Lemon Car

  1. SteffenG sagt:

    Hi Sammy,

    der Le Baron. In den frühen 90ern irgendwie cool, heute kult.
    Aber diese brachiale Leistung mit Wandlergetriebe zu kombinieren war doch sicher nicht die beste Idee?

    Ein Bekannter bei der Bundeswehr fuhr damals einen R19 Automatik mit Handgas/Bremse. Wenn man sich da mal eingefuchst hat, geht das ganz gut. Besser als das Linksgas einer Freundin… 😉

    Steffen

    • Sandmann sagt:

      Ay Steffen,

      in meinem Praktikum irgendwann in den 80ern in einem Autohaus in Plön hatten die einen R20 mit Gastank und Handgas. Glaube ich. Was mich wirklich beeindruckt hat war nicht das Handgas, sondern die sagenhafte Größe des R20. Ich muss mal wieder bei mobile gucken… 🙂
      Gut’s Nächtle
      Sandmann

    • Sammy sagt:

      SteffenG, aufgrund dieser Kombination macht mich auch jeder 60PS-Polo an der Ampel nass 😉
      und obwohl 4 Zylinder fehlen, ist er trotzdem ein perfekter Cruiser, auch hier in Friesland

      • Sandmann sagt:

        Ich muss mir von dir nochmal in Ruhe erklären lassen, welcher LeBaron nun wo geklaut wurde, welcher danach in welcher Farbe kam und was und wie und überhaupt.
        Reloaded, sagtest du 🙂

        Sandmann

  2. bronx sagt:

    Sammy,

    danke für diese Ode an ein verkanntes Auto. Ich war in Gedanken gerade bei meinem „roten“ Baron. (1995-97*) Einem V6 mit diesem Mitsubishi-Motor. Rot, allerdings ohne diese seltsamen Abbiegelichter, dafür mit geschwärztem 3. Bremslicht auf dem Kofferdeckel 😉 Gemessen an anderen Cabrios empfand ich den als schieren Luxus, bezahlbar obendrein. Des schlechten Ruf’s wegen, sicher. Es waren aber, genau wie bei Dir, nur Kleinigkeiten.

    *Haltedauer

    Bronx

    • Sammy sagt:

      mein „Neuer“ ist auch eine EU-Version mit geschwaerzter 3. Bremsleuchte, aber mittlerweile auf US zurueckgebaut, inkl. digitalem Cockpit
      letztes Jahr gab es sogar in der „Chrom & Flammen“ einen grossen Bericht ueber einen (roten) Le Baron, fuer ein Auto, welches von der US-Car-Szene eher belaechelt wird, war dies wie ein Ritterschlag 😉

  3. Snoopy sagt:

    Mit dem Baron habe ich auch mal liebäugelt. Ein Amihändler in der Nähe hatte immer ein paar zu sensationellen Preisen da stehen. Der Preis war heiß, aber die Angst vor einer Zitrone war zu groß…

  4. Sammy sagt:

    Vorsicht vor zu billigen Schnaeppchen, es gibt viele letzte-Hand-Exemplare, ein gut gepflegtes Liebhaberstueck kostet auch mittlerweile seine 3-4000€…
    teurer sind die Maserati-Versionen, Chrysler TC by Maserati oder Maserati TC genannt, in meinen Augen trotz „normaler“ Scheinwerfer die schoenste Version des Le Baron

  5. Daemonarch sagt:

    Ein Ami ohne V8??? Untragbar! 😉

    • bronx sagt:

      Ein oft verbreitetes Klischee. Dachte ich auch mal.
      Aber, Du hast nicht ganz unrecht, denk ich an Ami-Schlitten, denke ich zuerst an dicke V8. 😉

      • Sandmann sagt:

        Einen Ami, wie WIR (also ihr und ich) ihn definieren machen noch andere Faktoren aus. Es war ja auch immer ein NO GO, Frontantrieb oder einen Katalysator zu haben. 🙂 Phhhhh…
        Wer einmal einen Cadillac Eldorado Biarritz von 1981 0der 82 gefahren ist, der weiß, dass das immer noch ein echtes Full Size Car ist. Sofas und Tachoschrankwand, Sound satt trotz „nur“ 4,1 Liter und moderater Verbrauch wegen niedriger Verdichtung und wenigen PS.
        Das schockt 😀

        Sandmann

        • Sammy sagt:

          in den 70ern hatten sogar die grossen Cadillacs mit über 8Ltr Hubraum schon Frontantrieb 😉
          ich habe mich mit dem Frontantrieb arangiert, nur im Winter, wenn Schnee liegt, vermisse ich abundan den Heckantrieb, aber nur des Spasses wegen

          • Sandmann sagt:

            Oha Sammy,

            dann hast du dich vermutlich noch nie unkontrolliert aus ner Kurve rausgedreht…? Also, ich hatte das mit meinem Taunus vor rund 20 Jahren das erste mal, später auch gern mit dem Audi V8 Quattro (wenns glatt ist dreht die Hinterachse paradoxserweise wie bei einer Heckschleuder durch). Und der KaSi mit seinen uralten Sommerreifen zieht durch den Schnee wie nix 🙂

            Grüße von der Ostsee
            Sandmann

            • bronx sagt:

              Heckantrieb macht Spaß! Und mit dem -unkontroliert- haben wir doch alle mal angefangen, oder? Wer war schon perfekt? 🙄
              Der Begriff Heckschleuder ist zu pauschal! Autos wie der Omega oder BMW 5er, speziell der E 12, E 28 und auch noch der E 34 waren und sind im Winter sehr kurzweilig zu fahren. Ob mit oder ohne Sperre. 😉
              Es bedeutet also nicht zwangsläufig, wenn jemand seinen Hecktriebler vermisst, das er noch keine Grenzerfahrungen hatte. Das genaue Gegenteil kann auch der Fall sein, der Verlust von Fahrfreude. 😀

              Soweit meins dazu!

            • bronx sagt:

              Scheint doch was ernsteres zu sein. 🙁 Er ist verstummt.

              • Sandmann sagt:

                Nein, Jungs, nicht verstummt. Nur beschäftigt 🙁
                Neuer BOSCH Anlasser ist bestellt und wird morgen eingebaut. Und dann sehen wir mal, ob der Rest „ernst“ ist oder nicht. Bis dahin fahre ich Audi 100….

                Wir lesen uns.
                Ein müder
                Sandmann

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