Warten

Ay liebe Blog-Gemeinde.

Warten. Warten bedeutet: Zeit verbringen, während ich hoffe, dass sich ein Zustand ändert. Das kann ein Zustand der Einsamkeit sein, ein Zustand der Angst, ein Zustand der Unsicherheit – aber immer mit dem Wissen, dass sich etwas ändern wird. Warum sonst sollte ich warten? Ich stehe inmitten einer fremden Stadt, inmitten einer herbstlichen Dunkelheit, unter einer mir fremden Laterne im Scheinwerferlicht eines mir vertrauten Autos. Der abkühlende Motor tickt leise. Ich warte. Heutzutage warten wir nicht mehr sehr oft. Warum eigentlich nicht? Hat die Welt sich in einen Perfektionismus hineingedreht, der Leerlauf überflüssig macht? Nutzen wir alle verbliebenen freien Minuten aus, um Dinge zu machen, die uns erst die neuen Kommunikationsmittel gegeben haben? Wohl kaum. Während eine nordische Kälte langsam meinen Rücken hinaufkriecht werden mir ein paar Dinge klar.

Menschen warten nicht mehr!

Ihre Mobiltelefone haben sie immer und überall zu jeder Zeit erreichbar gemacht. Wenn ich mich aus irgendwelchen Gründen verspäte, rufe ich schnell an, damit mein Gegenüber nicht warten muss. Dabei ist es heute schon echt schwer, sich zu verspäten, außer vielleicht, ich reise in einem ICE der Deutschen Bahn. Navigationssysteme berechnen Ankunftszeiten minutengenau, kalkulieren Staus in Echtzeit und entwickeln Strategien, doch noch irgendwie pünktlich anzukommen. Und wenn nicht – ja Himmel dann rufe ich halt an. Ich rufe ja auch drei Minuten vor einem geplanten Treffen an, wenn ich es gar nicht schaffe. Hauptsache bescheid sagen. Am liebsten der Mailbox, mein Gegenüber ist ja selbst Schuld, wenn es nicht ans Handy geht. Die Welt ist flexibel und grenzenlos unverbindlich. Verabredungen sind erst ab dem Zusammentreffen der Verabredeten eine Verabredung. Bis dahin kann man sie immer noch kurzfristig absagen.

Wenn man die 25 überschritten hat, kennt man so etwas wie „Lange Weile“ nicht mehr. Lange Weile ist ein Begriff der Kinder und Teenager, die in ihrer Suche nach permanentem Entertainment nicht befriedigt werden. Ich bin schon groß, Lange Weile heißt bei mir Wellness oder Entspannung. Aber wo finde ich sie? A7 Richtung Hamburg, der klassische Stau vorm Elbtunnel. Schnell Handy raus, bescheid sagen, ich wusste ja eigentlich dass hier immer Stau ist aber egal es wird ein bisschen später. Alles steht. Nochmal die Neuigkeiten bei Facebook checken, das bietet sich ja an. Ein paar Freunde anrufen, die ich lange nicht angerufen habe. Gottseidank nur die Mailbox, dann sehen die wenigstens, dass ich es versucht habe. Mehr ist nicht drin. Effektives Stauzeit-Management, bloß nicht nachdenken oder Musik hören, dafür ist keine Zeit. Ich schaffe ja ohnehin schon nicht das Pensum an Aufgaben, welches ich mir in den Tag gelegt habe.

Wo kann ich noch Zeit sparen? Mit meinem Internethandy checke ich die Mails von überall in der Mittagspause. Auf langen Autobahnetappen telefoniere ich meine Verwandten durch oder die anderen Menschen, die mir wichtig sind. Dafür ist ja Abends zu Hause keine Zeit mehr. Im Urlaub buche ich nur noch Ferienhäuser mit W-LAN, ich möchte nichts verpassen. Außerdem verlassen sich andere darauf, dass ich erreichbar bin. Ein Blick auf die Uhr. Nicht zu fassen. Ich habe noch 20 Minuten Zeit, bevor der Zug ankommt. Da habe ich mich wohl verschätzt…….. 🙂 Schön ist es hier. Der Zeitschriftenkiosk in dem uralten Bahnhof verströmt einen spröden Charme und führt sogar einige deutsche Magazine. Der herbstliche Wind riecht frisch und unverbraucht und weht ein bisschen Sehnsucht vom Meer herüber. Mein Herz klopft unmerklich schneller, ich fühle mich wieder einmal wie ein Teenager. Die in einem „Motor-Florist“ gekauften roten Rosen stechen mit ihren Dornen in meine Finger und beweisen mir, dass ich hier und jetzt existiere.

Was für ein Luxus ist es, zu warten. Ich schließe meine große Liebe in die Arme, als der ankommende Zug sie freigibt. Ich spüre ihre Wärme. Und ich erzähle ihr von meiner Warterei. Ich bin nicht mehr einsam, ich habe keine Angst mehr und ich bin nicht mehr unsicher. Es sind gute Zeiten. Atmen Sie mal durch. Legen Sie Ihr Handy beiseite. Warten Sie mal wieder.

Sandmann

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Über Sandmann

Die Zeit ist zu knapp für langweilige Autos, Abende vor dem Fernseher oder schlechten Wein. Ich pendel zwischen Liebe, Leben und Autos und komme nicht zur Ruhe. Aber ich arbeite daran.

18 Antworten zu Warten

  1. El Gigante sagt:

    … ich warte auch…

    … auf den Sommer – aber ich glaube, da kann ich lange warten – dieses Jahr tut sich da nix mehr!

    Diesen Urlaub konnte man voll in die Tonne treten… und hat dabei ordentlich nasse Füße gekriegt. Meck-Pomm säuft fast ab – ich hab’s selbst gesehen!

    El

    • Sandmann sagt:

      Ay El,

      ich bin heilfroh, dass ich mit meinen beiden Mädels in Südfrankreich war und dort reichlich Sonne tanken durfte. Auch Norddeutschland säuft ab, man befürchtet inzwischen einen dramatischen Buchungsrückgang für das kommende Jahr – klar, wer hier drei Wochen Dauerregen und 13 Grad hatte will nächstes Jahr dann vielleicht doch lieber mal wieder irgendwo hin, wo die Sonne zu sehen ist…

      Sandmann

      • micklip sagt:

        Na ihr beide macht mir ja Mut.
        Ich will doch morgen früh in den Urlaub nach Dänemark fahren. Und ich hoffe natürlich auf einen sonnigen Norden. Na wenn das mal gut geht. Mal schauen. Drückt mir die Daumen OK?
        Mick

        • Sandmann sagt:

          Ohjemineh.
          Ich drücke alles was ich habe, aber der Wetterbericht zumindest für S-H sieht nicht schön aus. Na ja, manchmal hat man ja weiter Oben Glück, ihr seid hoffentlich an der Westküste…?

          Sandmann

          • micklip sagt:

            Ja, Westküste. Gar nicht weit von Eurem Urlaubsort entfernt. Bisher war das Wetter nur am Samstag Nachmittag freundlich zu uns. Aber gar so schlimm ist es nicht. Die Temperaturen sind ganz akzeptabel und es gibt durchaus trockene Abschnitte 🙂
            Die Gegend hier ist einfach super für einen total entspannten Urlaub.
            Grüße aus Bjerregard, Mick

            • Sandmann sagt:

              Aaaaaaber du hast anscheinend Internet… DAS entspannt nicht endgültig, weil man immer schaut, ob’s was neues gibt 🙂

              Ich wünsch euch gute Erholung und sende gut gelaunten Neid. Dänemark ist großartig!

              Sandmann

              • micklip sagt:

                Wer kommt heute schon ohne Internet aus. Ich merke immer erst wenn es zu spät ist, welche Karte oder welche Infobroschüre ich nicht ausgedruckt und mitgenommen habe. Deshalb finde ich es diesmal eher als entspannend, Internet im Ferienhaus zu haben.
                Übrigens war (und ist) heute seit Mittag super Wetter. 🙂
                Mick

                • Sandmann sagt:

                  Ay Mick,

                  ich habe auch für dich einen RegenTANZ gemacht, heute Mittag. 😀 Na gut, vielleicht war das auch die Freude über einen Reihensechszylinder… Aber das ist eine andere Geschichte…

                  Sandmann

      • El Gigante sagt:

        nur nebenbei: Meck-Pomm LIEGT in Norddeutschland! Glaube ich jedenfalls! 🙂

        El

  2. bycan sagt:

    Sag mal sandmann… hast du schonmal dran gedacht deine Gedanken in Buchform unter die Leute zu bringen? Ich mag deine Art zu schreiben sehr und bin bestimmt nicht der einzige!

    • Sandmann sagt:

      🙂
      Danke für das Lob. Bücher sind schwierig. Ich schreibe tatsächlich seit dem Frankreichurlaub an einem Buch, ich habe endlich angefangen, was seit zwei Jahren in meinem Kopf gärt. Aber das braucht Zeit, viel Zeit.
      Ich werde ab September beruflich viel schreiben und nachdenken, das erzähle ich euch bei Gelegenheit nochmal in einem speziellen Beitrag. Und vielleicht bleibt dann ja auch Zeit für das Buch. Mal sehen.

      Morgen hole ich erst einmal meinen kranken waidwunden Audi V8 von Hamburg nach Kiel zurück, melde ihn ab – und fahr dann über den Winter einen alten dicken Benz. Ich werde berichten…

      Sandmann

  3. Daemonarch sagt:

    Was spinnt den Aktuell wieder am Audi? Immer noch das alte neue Problem, das die Betriebsflüssigkeiten nicht da verweilen wollen, wo sie hingehören?

    • Sandmann sagt:

      Ja. Nach dem Tausch der Pumpe und des oberen Druckschlauchs ist nun einer der unteren dabei, sein Nass über den Krümmer zu verdampfen. Machbar, aber ich will erstmal nicht mehr. Pause. Der Daimler rollt großartig und funktioniert – einfach so…

      Sandmann

  4. calimero sagt:

    Diese Momentaufnahme geht ans Herz.
    Du schaffst es manchmal, dass ich richtig schlucken muß und an verschiedene Menschen denke, die mir fehlen. Aus verschiedenen Gründen.
    Ich warte auch oft, manchmal zu lange und manchmal vergeblich.
    Da ist es schön zu lesen, daß es anderen auch so geht. Leider kann ich das so nicht in Worte fassen. Schön daß du da bist.
    Abel

    • Sandmann sagt:

      Bester Calimero,

      lese ich da eine Spur von Kummer in deinen Worten? Alles okay? Wenn du dich auskotzen willst, fällst du hier weich und wärest nicht der erste 😉
      Alles wird gut!

      Sandmann

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