Vanitas Leuchtfeuer

Ein letztes Mal...?

Ein letztes Mal…?

Reisende soll man nicht aufhalten.

Ein herrlicher Spruch, der im Netz den unangenehmen Zeitgenossen und Trollen bekundet, dass sie sich mal ganz gepflegt vom Acker machen sollen. Im Norden Dänemarks stehen eine Menge alte Leuchttürme rum, die den Reisenden ein Zeichen sein sollten. Jeder für sich ein kleines, gemauertes Kunstwerk aus einer Zeit vor Radar, GPS Handies und Satellitennavigation. Kein reisender Mensch und kein reisendes Schiff braucht heute mehr einen Leuchtturm, um nicht an einer Küste zu zerschellen. Deshalb sind diese alten Steinsäulen nur noch selten in Betrieb und dienen vor allem den Selfies der gelangweilten Touristen als abwechslungsreicher Hintergrund. Das Leuchtfeuer von Rudbjerg Knude hatte Jahrzehnte lang mit Reisenden zu kämpfen. Erst waren es reisende Seeleute, denen es geleuchtet hat, dann kamen reisende Sandmassen, dann war es die reisende Küste selbst. Der Turm und seine Erhalter haben den Kampf gegen die Natur aufgegeben. Heute sehe ich eine mir schon lange bekannte Taunusfahrerin zum ersten Mal, und heute reisen wir zu diesem Leuchtturm. Vermutlich zum letzten Mal.

Ich und…

Andrea…

Limousine hin, per Pedes weiter.

Limousine hin, per Pedes weiter.

Als ich vor zwei Jahren beim Leuchtturm auf einer komplett menschenleeren Düne war, habe ich mit ihr (ganz oben drauf stehend) telefoniert und Nena gesungen. Wir kennen uns schon lange aus Facebookdialogen. Sie fährt einen Taunus II und einen Audi 100 Typ 44 und verkörpert im Sozialen Netz für mich die Messlatte der autobegeisterten Frau. Andrea. Und sie will schon seit einer halben Ewigkeit diesen Leuchtturm mit seiner dramatischen Geschichte sehen, aber sie ist nie dazu gekommen. Als ich im letzten November in Henne Strand war, hatte ich ihr schon angeboten, dass sie mich für einen Tag besuchen kommt und wir da hinfahren. Das ging bei ihr aus terminlichen Gründen nicht, und das Wetter war ja auch eher bescheiden. Danach kam der Herbst, und in den (dänischen) Nachrichten hieß es, die Küste da oben würde schneller von Wind und Wasser abgetragen als geplant. Ursprünglich gab man dem steinernen Bauwerk noch 10 Jahre, bevor es ins näher kommende Meer stürzen solle. Da waren sie wieder, die Reisenden. Erst war es der Sand, der nicht aufzuhalten war und seit den 80ern einmal vernichtend über die Nebengebäude hergezogen ist. Von denen stehen heute nur noch die Grundmauern, wenn ihr die Geschichte noch einmal nachlesen wollt erfahrt ihr in meinem damaligen Artikel noch mehr. Dann war die Nordsee der Reisende. Heute ist die Kante der Steilküste bis auf acht Meter an den Turm rangekommen. Es heißt, wenn noch ein starker Sturm käme, könne er schon fallen. Und daher sei nicht sicher, wie lange man ihn noch offen halten könne. Monate, Wochen, Tage.
Dieses Mal sagt Andrea: Okay, ich komme dich besuchen.

Über den Dächern von Dänemark

Über den Dächern von Dänemark

Und da ist sie. Weder mit dem Taunus noch mit dem Audi (sondern mit ihrem Dacia) kommt sie aus Lübeck bis nach Henne Strand zu meinem Häuschen, wir steigen in den Scorpio um und machen uns auf den Weg. Ist es nicht ziemlich schräg, sich in Dänemark zu treffen, obwohl man sich noch nie vorher gesehen hat? Ja, ist es. Aber mich gibt es ja wirklich, deshalb haben sich weder sie noch ihr GöGa ernsthaft Sorgen um ein Kettensägenmassaker oder ähnliches gemacht. Und jetzt haben wir mehr als drei Stunden Zeit, uns nicht virtuell kennen zu lernen. So weit ist es von hier bis nach da ganz oben im Norden. Die Sonne scheint wie die letzten Flutlichter vor der Katastrophe, wir sind beide gut gelaunt und ein bisschen aufgeregt.

Komm‘ geh mit mir den Leuchtturm rauf ♫

Ich weiß zwar ungefähr, was uns erwartet, aber es könnte wirklich das allerletzte Mal sein, dass wir dieses tragische Bauwerk sehen. Die Küste hat sich an die Grundmauern von Rudbjerg Knudy Fyr rangefressen, die ersten Stützwände aus Beton sind schon abgesackt. Angeblich kommen pro Tag inzwischen rund 1000 Besucher hier her. Heute sind es saisonal bedingt ein paar weniger, aber definitiv mehr als bei meinem letzten Besuch. Da war es: Niemand. Auf dem Parkplatz stehen 10 Autos, und ein kleines Strom aus Pilgern stapft den sandigen Weg entlang zu dieser unnatürlich aussehenden Düne am Rand der Welt. Wir auch. Und dann geht es noch einmal da rauf.

Nichts für Kletterer mit Höhenangst.

Nichts für Kletterer mit Höhenangst.

Es muss wahnsinnig viele Bilder von diesem Gebäude und seiner Umgebung geben. Alle hier machen Fotos, Selfies und gestellte Bilder mit Selbstauslöser oder langem Arm. Menschen halten inne, drücken Knöpfe und hoppsen dann Sand aufwühlend zu den anderen Menschen. Und grinsen und winken. Ich habe hier vor zwei Jahren selbst so viele Fotos rund um den Turm gemacht, dass ich mich heute auf ein paar andere Motive beschränke. Bilder aus dem Herzen der Steinsäule und von oben mit dem einzigartigen Blick in eine Welt, der so demnächst nicht mehr möglich sein wird. Die Stahltreppe, die für den „Lebensabend“ von Rudbjerg Knude Fyr extra eingebaut wurde, knarrt und klonkt. Allein das Treppenhaus ist nichts für Menschen mit Höhenangst, denn die Bleche sind gelocht. Man kann gefühlt von ganz unten nach ganz oben gucken. Und andersrum.

Ein Blick, den es nicht mehr lange gibt.

Ein Blick, den es nicht mehr lange gibt.

Ich glaube, Andrea ist schon oben? Ich halte immer wieder an, nicht weil mir meine älter werdenden Knochen zu schaffen machen, sondern weil es so viel zu entdecken gibt. Es heißt, man wolle den Turm vielleicht abtragen und woanders wieder aufbauen. Warum? Es ist nur ein Leuchtturm, wenn auch ein recht hübscher. Aber am Ende ist es nur ein Leuchtturm wie so viele andere auch. Seine tragische Geschichte und gerade seine Vergänglichkeit machen ihn doch so einzigartig! Die in den Putz geritzten Namen und Botschaften von hunderten von Touristen sind vergänglich und wertvoll. Und wenn er denn fällt – dann lasst ihn doch fallen. Unsterblichkeit hat noch niemanden glücklich gemacht.

Hoch über der Welt

Als ich oben auf die Plattform trete, bin ich wieder genau so beeindruckt wie vor zwei Jahren. Ich hab’s jetzt nicht verglichen, aber ich glaube ich habe dann doch ähnliche Fotos gemacht. Das endlose Meer, die sinkende Sonne, das klare kontrastreiche Licht und diese nur vom Rauschen des Meeres untermalte Stille… Phantastisch. Man möchte alles in sich aufsaugen und nie wieder vergessen.

Bis nach Amerika...

Bis nach Amerika…

Diesmal habe ich Andrea nicht telefonisch am Ohr, diesmal steht sie neben mir und fotografiert in der Gegend rum, atmet die salzige Luft tief ein und wirkt beseelt. Sie ist gut vorbereitet. Auf eine der unzähligen Geschichten rund um den Leuchtturm hat wohl jemand einmal kommentiert, dass es zu seinem Fuße sehr unaufgeräumt sei. Haha. Ja genau. Ich würde noch ergänzen: Außerdem hätte man mal fegen müssen, überall dieser Sand…
Von den Nebengebäuden sind zwar nur noch die Grundmauern zu sehen – es ist aber noch alles Baumaterial da. Inzwischen in Form von herumliegenden gelblichen Ziegelsteinen, aus denen die anderen, die Reisenden, seit Jahren große Botschaften in den Sand legen. Ich habe das damals auch gemacht und den Namen meines viertelfinnischen Sandmädchens mit Backsteinen auf den Boden geschrieben. Nix mehr da. Gemauerte Wörter und Namen sind genau so vergänglich wie die Bauwerke selbst. Aber mehr oder weniger sinnreiche, neue Texte und Wörter heben sich kontrastreich gemauert von dem wandernden Wüstensand ab.

Ein seltener Schatten

Ein seltener Schatten

Heute ist es früher als vor zwei Jahren. Also, bezogen auf die Uhrzeit. Genaugenommen ist es zwei Jahre später, aber meteorologisch noch früher. Wir haben frühen Frühling und seinerzeit war der Frühling fast schon vorbei. Äh. Verwirrend. Was ich sagen will: Das Licht ist anders, und die Sonne sinkt um diese Uhrzeit noch nicht so tief wie im Mai 2016. Das nimmt ein wenig die alles vergänglich machende Sonnenuntergangsdramatik, das wirft aber tolle dunkle Schatten. Von hier oben aus ist alles da unten einfach nur kaputt. Holzgitter ragen auf wie aus einem Mini-Ground-Zero, und die überall herumliegenden Ziegel lassen von oben alles aussehen wie einen explodierten Ameisenhaufen. Wir ziehen uns mit dem kaum vorhandenen Rest-Internet ein paar Bilder aus den 80ern und versuchen, die damals intakten Gebäude anhand der Grundmauern zu rekonstruieren. Das geht recht einfach. Kaum zu glauben, dass man hier in den 80ern noch mit dem Auto vor einem Museum und einem Kaffee parken konnte. Die grün bewachsene Düne türmte sich hoch auf, das Wasser war noch weit weg. Wie ein Gletscher ist sie dann vernichtend über die Gebäude hergezogen und hat den Leuchtturm wie von Geisterhand verschont.

Schöner wohnen.

Schöner wohnen.

Während in Deutschland weiter Schnee fällt, ist es hier zwar kalt, aber sonnig und trocken. So richtig viel kann man auf diesem Turm gar nicht machen. Lange über das Meer gucken, dann lange über das Land gucken. Sich kurz darüber ärgern dass irgendwie alle anderen Deutsche sind und Deutsch babbeln (die nächste deutsche Stadt ist über 400 Kilometer entfernt, hier oben auf einer Höhe mit Kristiansand und Göteborg), und das laut und lästig. Dann wieder über das Meer gucken, dann runter auf die kaputten Häuser und den vielen Sand. Nein. Nochmal, das hier ist vergänglich und muss vergänglich bleiben. Wir sind hier wegen der bewegenden Geschichte dieses Ortes und der Vergänglichkeit des Turms. Zu irgend einem anderen Turm hätten wir diese Reise nicht unternommen… Ach warte mal, das Spiegelbild muss ich noch machen 🙂 Moment…

Der Spiegelselfie muss sein.

Der Spiegelselfie muss sein.

Die müssten auch mal wieder geputzt werden.
Was diesen Ort noch einzigartig macht ist die offene Kuppel, in der sich früher die Lampe gedreht hat. Grobe Zahnradlaufbahnen sind noch zu sehen, alles rostet inzwischen heftiger als die hinteren Radläufe vom Scorpio. Der Wind fegt um das Prisma herum, zischt und klappert und singt ein salziges, melancholisches Lied. *klonk* tap tap tap „Aaaah Walter hascht g’sehn wo war die Lampn ang’bracht hätt? Ischt hoch hier, gell?

Manchmal hasse ich Menschen.

Es fällt schwer, sich an solchen besonderen Orten nicht massiv von seiner eigenen Spezies gestört zu fühlen. Wohl auch deshalb, weil viele Vertreter der Partnerlook-Softshell-Jackenfraktion mit Kurzhaarfrisur und deutlichem Übergewicht im Ausland oft so laut uns distanzlos sind. Ich schließe die Augen, höre das ferne Donnern eines Flugzeugs und stelle mir vor, wie das Leuchtfeuer in der Dämmerung seinen Schein über den Strand und das Wasser wandern ließ. Ungezählte Menschen aus lange vergessenen Jahrzehnten werden hier auf der Düne ihre eigenen Geschichten erlebt haben. Das hier ist meine. Jetzt wird das Buch bald geschlossen.

Sky is the limit

Sky is the limit

Andrea hat sich mit ihrem unfehlbaren meteorologischen Gleichgewichtssinn genau den richtig Tag für den Turm ausgesucht. Gestern war es noch bewölkt und recht windig (mein kleines Flugzeug litt ein wenig darunter), und morgen soll es schon wieder heftig regnen. Da ich sie erst seit rund vier Stunden kenne weiß ich hier oben nicht so recht, was in ihr vorgeht. Da sie aber später auf Facebook vom „perfekten Tag“ sprechen wird glaube ich, dass sie ähnlich beseelt ist wie ich vor zwei Jahren. Und jetzt auch wieder ein bisschen, aber anders. Damals war ich hier allein in der Abendstimmung. Heute ist hier mehr los, es ist licht und hell und meine innere Dramatik rutscht eher in Richtung Vergänglichkeit. Ich frage mich wirklich, wie es mit diesem Turm weitergehen wird. Stürzt er wirklich einmal die Klippe runter? Wir alle werden es erfahren. Um zu beweisen, dass wir beide heute hier oben waren, kommt noch ein Selfie. Was haben wir eigentlich vor 10 Jahren gemacht, als es „Selfies“ noch nicht gab? Hm. Ich habe einfach Fotos von mir in allen Lebenslagen gemacht. Schon immer. Die hießen dann nur anders 😉

Ganz oben in Europa

Ganz oben in Europa

Und wieder runter. Zwei Lieder kreisen wie vor zwei Jahren wieder und wieder in meinem Kopf wie ein unendliches Leuchtfeuer. Ganz platt Nenas „Leuchtturm„, ich fürchte den muss ich nachher im Auto mal hören 😉 und „Warm wet circles“ von Marillion, wo Fish eine Frau besingt, die sich nervös im tanzenden Schein der Strahlen des Leuchtturms auf der Insel Fidra auszieht… Von oben höre ich noch Walter und seine Kurzhaar-Softshell-Frau wie zwei überflüssige Nebelhörner im Sonnenschein rumtröten, wie schön’s pascht und wie fanni’s ischt. Boah. Als Ur-Uelzener irgendwo in der nördlichen Mitte Niedersachsens bin ich quasi dialektfrei aufgewachsen. Ich komm auf sowas nicht gut klar. Wie kann jemand völlig anders sprechen, als er schreibt? Das ist dann ja quasi ein zweisprachiges Aufwachsen? Wie sprechen diese Leute denn Wörter aus, die tatsächlich ein „sch“ beinhalten? Gischt? Hasch? Scheiße? Ich will es gar nicht wissen.

Vergängliche Geheimnisse

Treppe für Treppe gehen wir den Leuchtturm rauf runter, hängen unseren eigenen Gedanken nach und passieren vergängliche Kunst im Halbschatten.

Wer mag das sein?

Wer mag das sein?

Unten angekommen beuge ich mich noch einmal in das lange Prisma, was im inneren des Leuchtturms bis nach oben unter die Spiegel geht und das Licht einfängt. Diesmal weiß ich ja, dass es da ist. Vor zwei Jahren habe ich es nur durch Zufall entdeckt und war dementsprechend fasziniert. Da war aber das Licht auch irgendwie oranger und die Spiegel nicht so matt. Egal. Es sieht trotzdem wunderschön aus. Ich wünschte, ich könnte dieses mit einem grauen Star belegte Gebilde wie bei einem Kaleidoskop drehen und Licht und Schatten verändern. Diese Drehung wird der Turm machen, wenn er fällt. Von ganz alleine. Wir treten durch die offene Tür aus dem Halbdunkel ins helle Licht da draußen und spüren eine gewisse Endgültigkeit.

Zersplittertes Licht

Zersplittertes Licht

Das ist jetzt komisch. Wir stehen unten zwischen unordentlich herumliegenden Backsteinen und viel nicht weggekehrtem Sand. Etwas weiter weg liegt ein dicker, roter Warmwasserboiler. Selbst, wenn der aus einem der kaputten Häuser stammt könnte man sich die Frage stellen, wie der da jetzt hingekommen ist. Egal. Komisch ist das nicht. Komisch ist aber, jetzt alles gesehen zu haben und wieder zurück zum Auto zu gehen. Weil auch wir Reisende sind, die hier nur kurz verweilen. Genau wie der Sand. Einzig das Meer wird bleiben, und es wird sich holen, was es haben will. Den Prognosen nach sehr bald diesen Leuchtturm und die verbleibenden Mauern der Nebengebäude, die Balken, die Backsteine und am Ende auch den Warmwasserboiler. In ein paar Jahren wird hier nichts mehr an Rudbjerg Knude Fyr erinnern. Ich stapfe noch einmal die Düne hoch und lasse ein letztes Mal die Abendsonne das Leuchtfeuer simulieren. Dann gucken wir uns kurz an, nicken leicht und machen uns wortlos auf den Weg.

Das letzte Licht?

Das letzte Licht?

Der Blick zurück

Gehört ihr auch zu den Menschen, die sich beim Verlassen besonderer Orte immer wieder mal umdrehen? Ich gucke ja sowieso gern mal zurück, und wenn ich von meinem Auto zum Haus gehe drehe ich mich immer noch einmal verliebt um (und habe so schon manches Mal gesehen, dass ich noch das Licht angelassen habe). Das Zurückblicken ist hier heute etwas Besonderes. Die weiße, tote Düne selbst erhebt sich unwirklich über der kargen, baumlosen Landschaft. Noch unwirklicher steht der steinerne Turm wie in einer Senke mitten drin und wird mit jedem Schritt kleiner. Und so richtig unwirklich wird der Anblick, wenn ich mir vorstelle, hier irgendwann einmal wieder her zu kommen – und am Horizont steht einfach nix mehr. Hm. Genaugenommen gibt es dann keinen Grund mehr herzukommen, aber wer weiß. Reisende sind manchmal eben auch komisch, ob mit oder ohne Dialekt, ob mit oder ohne Sand und Meer und Wind. Man soll sie nicht aufhalten. Man kann es manchmal auch nicht.

Rückweg

Rückweg

Der Weg, auch wenn er jetzt gerade nicht das Ziel ist, hat auch seine Reize. Links blöken kleine Lämmer und haben berechtigten Schiss vor Ostern, große Findlinge drücken sich aufgereiht in zugefrorenen Pfützen entlang einer kleinen Ebene und knorrige Kiefern drängen sich aus stacheligen Heckenrosen hoch in die kalte Luft. Noch einmal umdrehen.
Auf dem langen Weg zurück nach Henne Strand reden wir nicht ganz so viel wie auf dem Hinweg. Der Turm und dieser Ort an der Steilküste verzaubern mich. So sehr, dass ich blind dem Navi vertraue und wir über bizarr holperige Feldwege und durch ländliche Vorgärten nicht die Strecke fahren, die wir hergekommen sind. Aber auch diese unbekannten Feldwege kommen irgendwann wieder in der beleuchteten Zivilisation an. Das Navi macht das schon. Zu Land und zu Wasser. Mit Autofahrmusik von Bear’s Den rollen wir in die einsetzende Dunkelheit hinein, zurück in eine Welt mit GPS-Navigation, in der Leuchttürme nicht mehr gebraucht werden.

Sandmann

P.S.:
Und wenn ihr lesen möchtet, wie Andrea den Tag fand – sie schreibt auch 🙂 Klickt mal hier.
Gleiches zum Thema: Nichts auf die lange Bank schieben

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Über Sandmann

Die Zeit ist zu knapp für langweilige Autos, Abende vor dem Fernseher oder schlechten Wein. Ich pendel zwischen Liebe, Leben und Autos und komme nicht zur Ruhe. Aber ich arbeite daran.

34 Antworten zu Vanitas Leuchtfeuer

  1. Jo Vauwee sagt:

    Wir waren vor zwei Jahren in unserem DK Urlaub auch dort nachdem ich über deinen Blog davon gelesen hatte. Wir hatten das große Glück, nahezu allein zu sein, ohne Walter und Konsorten. Ich war von dem Ort ebenso fasziniert wie du und verfolge seither gespannt die Geschichte des Turms. Schön, dass du nochmal da warst und ein Update gepostet hast. Vielleicht schaffe ich es vor dem großen Platsch noch einmal selbst dort hin.

    • Sandmann sagt:

      Ay Jo,

      na das kommt drauf an wann der „Platsch“ kommt und was gegebenenfalls vorher passiert. Die vielen Kilometer dahin sind es jedenfalls wert, auch wenn man gar nicht im hohen Norden residiert.
      Ich bleibe jetzt auch an den Nachrichten dran, und bin gespannt wie es weitergeht…

      Sandmann

      • Jo Vauwee sagt:

        wie es aussieht, muss man das nächste mal rund 90 Meter weniger wandern. Um das Stückchen kommt einem der Turm demnächst entgegen …

        • Sandmann sagt:

          Jep,

          die gute Andrea war grad da und hat das Ding noch einmal in Augenschein genommen, bevor die Reise losgeht. Ich finde das Projekt recht krass und weiß noch nicht, ob ich es gut finde. Wenn der Turm weiter im Landesinneren steht, fällt er natürlich nicht. Aber dann ist es einfach nur ein Leuchtturm, denn seine Geschichte bleibt ja an der Kante der Steilküste…

          Sandmann

          • Anonymous sagt:

            Ich finde es schade. Wie du sagst, es ist nur ein Leuchtturm, nicht mal ein besonders schöner, der noch dazu ohne Funktion (außer der touristischen) ist. Die Geschichte der Düne und des landfressenden Winds und Wassers machten das besonders.
            Aber wenn plumps, dann weg, dann Touri weg, dann Däne traurig.

            • Sandmann sagt:

              Sehen wir es positiv.
              Die Grundmauern der umstehenden Häuser fallen jetzt ins Meer, und man hat nach wie vor ein schönes Ziel da oben in Skagen. Ich werde auf jeden Fall wieder hinfahren und gucken, wie es sich anfühlt. Mit so einem verschobenen Leuchtturm. Ist ja irgendwie ebenfalls eine schöne Geschichte!
              Sandmann

  2. Andy sagt:

    Sehr schöner Beitrag (-:

  3. JoergFl sagt:

    Hallo Jens,
    Als Kind war ich auch mal dort. Vielleicht 10 oder 11 jahre alt. Da war der turm fast vollständig unter sand begraben. Irre das der nun quasi frei steht.

    • Sandmann sagt:

      Ay Jörg,

      hui. Du kennst ihn noch unter Sand? Ich kenne nur Bilder aus den Zeiten. Habt ihr damals auch Fotos gemacht?
      Ich war vor allem erschüttert darüber, dass man irgendwann tatsächlich die Gebäude aufgeben musste (ich denke dann immer: Verdammt, es ist doch nur SAND, das kann doch nicht so schwer sein…?) und wie schnell die Düne sich die Häuser geholt hat. Es ist ja wirklich nur noch ein Trümmerfeld um den Turm herum. Da hätte ich gern mal ein Zeitraffervideo gesehen, drei Bilder an jedem einzelnen Tag. Das muss spektakulär sein.

      Sandmann

      • Joergfl sagt:

        Fotos weiß ich garnicht. Aber super 8 aufnahmen ?.
        Das war so um 78 bis 80… man bin ich alt ich werde mal die filme durch sehen. Sind mittlerweile auf DVD gebrannt. Leider unsortiert, also alles ansehen.

        • Sandmann sagt:

          Wow, Filme? Klasse. Da bin ich neugierig!
          Und bitte bedenke, wenn du stolz von der Digitalisierung deiner alten Super 8 Filme berichtest: Eine handelsübliche, brennbare DVD kann ihre Daten nur 6-8 Jahre halten. Dann setzt ein chemischer Prozess ein, der sie früher oder später unleserlich macht!
          Wenn du lange speichern willst: Festplatte, und einmal im Jahr auf eine andere Festplatte spiegeln. Gebrannte DVDs sind fragiler als magnetische Videocassetten 😉

          Sandmann

  4. bronx sagt:

    Salut Maitre,

    Vanitas also, „es ist alles eitel“, so schrieb es einst Luther. Und meinte damit doch „nichtig“.
    Schöner Vergleich, der mich wieder inspieriert, abzutauchen in meinen Aufenthalt, 98, in Bjerregard, verbunden mit dem Besuch von Rudbjerg Knude.
    Der Turm hatte damals noch seine Laterne.

    Irgendwann haben sie ihm die dann entnommen. Kennt man den Turm, ist es, als wenn sie dir die Räder unter dem Auto klauen.

    Ich weiß nicht, was ich nun besser finden soll, umfallen lassen, oder umsetzen.
    Ich fürchte nur, letztere Lösung wäre die schlechtere.
    Das Leben kann bitter sein. . .

    • Sandmann sagt:

      Ay Bronx,

      stimmt, ohne die Laterne ist der Turm oben irgendwie leer und unnütz. Die Spiegel, aus denen sie das Prisma gebaut haben, leuchten ja auch nicht so recht.
      Es ist trotzdem schön, dass man den Turm wieder für die Öffentlichkeit freigegeben hat. Mit Treppenhaus und allem anderen. Die Dramatik der Geschichte ist vor Ort jedenfalls deutlich zu spüren, wenn die Wellen weiter unten an der Küste nagen…

      Ich kann auch gar nicht sagen, wie ich auf einen versetzten Turm reagieren würde. Ich fahr dann noch mal hin und mach Fotos. Und wenn er fällt – natürlich auch.
      Das Leben IST bitter. Zumindest die Vergänglichkeit, unsere eigene und die alles Irdischen. Aber so ist das nun mal. Hm.

      Sandmann

      • bronx sagt:

        Sandmann,

        „Die Dramatik der Geschichte ist vor Ort jedenfalls deutlich zu spüren, wenn die Wellen weiter unten an der Küste nagen…“

        Bist du mal bei schwerer See und richtig Wind da oben gewesen?
        Wenn man die Augen schließt, während die Brandung anrollt, meint man ein Zittern des Gemäuers zu spüren. . .

        Das Treppenhaus soll wohl nach der Freigabe extra eingebaut worden sein. Ich finde das auch schön.

        Unfassbar finde ich dagegen, was Sand anrichten kann. Dieses herüber-„mäandern“ über die Häuser, das was danach wieder sichtbar wurde.
        Das ist wie ein Fressen und die (unverdaulichen) Reste werden ausgeschieden. Verrückt!

        Grüße aus dem Land der Maiskolben. 😉

        • Sandmann sagt:

          Ay Bronx,

          nope, die beiden Male an denen ich da war war gutes Wetter und wenig Wind. Aber ich finde die unerbittliche Wucht des Meeres faszinierend. Irgendwie ist es beruhigend, dass wir als Menschen nicht ALLES kontrollieren können.

          Was die Düne angerichtet hat finde ich vergleichbar mit einem Gletscher. Der macht ja auch alles platt und spuckt es wieder aus, nur braucht er dafür ein bisschen länger. Allerdings weiß ich auch nicht, wie viel von den stromernden Touristen kaputt gemacht und durch die Gegend geworfen wurde, nachdem die Dächer geöffnet und die Häuser für den Sand „freigegeben“ wurden. Das wird auch nicht unerheblich gewesen sein.

          Sandmann

  5. Andrea Teetzen sagt:

    So viel Vergänglichkeit! Das paßt ja gut zu „meinem“ Leuchtturm und mir. 😉

    Die Rückfahrt erinnerte mich ein wenig an die Folge der „Fünf Freunde“, in der Strandräuber falsche Leuchtfeuer – Irrlichter – legen, damit das Schiff Kurs auf das Riff aufnimmt und geplündert werden kann… (damals auf Kassette).
    Google Maps trieb sein Unwesen und wollte den Scorpio vom Weg abbringen und uns die Schönheit einsamer dänischer Höfe von der Rückseite sowie Pferdeweiden zeigen. 😉

    Und falls der geneigte Leser wissen möchte, wie Andrea die Aktion fand:

    Yes!

    Und Leute, merkt Euch: Machen! Schiebt nichts auf die lange Bank:
    Ich wollte doch nichts mehr auf die lange Bank schieben

    Lieber Jens, ich danke Dir nochmal für den schönen Tag!

    => und mach bitte mal autohübsch über die Links. Danke. :-*

  6. Wunderschön gehaltvoll, jedenfalls lese ich das für mich so raus, danke!
    Und mit Umkippen und das wars und so, sowas kenne ich aus Südtirol. Da stehen uralte Bauernhöfe eine Handbreit weg von 400 Meter abfallenen Wänden, und die schiebt die Erosion täglich näher ans Haus. Einige Höfe sind schon mit den Felsen hinunter gerauscht. Und in manchen Höfen leben teils 80jährige, die partout nicht weichen wollen/können. Die legen sich abends ins Bett in der Gewissheit, dass der Schober nachts über die Klippe gehen könnte. Krass…
    Eure Geschichte da hat was. Tolle Sache… 😉

    Herzl. Grüße,
    Dirk

    • Sandmann sagt:

      Ay Dirk,

      ich finde abstürzen in keiner Form erstrebenswert. Auch wenn ich mein Leben lang in ein und demselben Haus gewohnt hätte – so fest würde ich daran nicht halten. Deshalb bin ich ja auch kein Kapitän geworden, mit so einem Dampfer unterzugehen entspricht nicht meiner landgebundenen Lebenseinstellung.

      Umso dramatischer finde ich solche Schicksale. Man weiß nicht WANN, man weiß aber sicher DASS. Irgendwann. Möge dann niemand, maximal eine Kamera, da drin sein.

      Sandmann

  7. Kai Brinkmann sagt:

    Ganz, ganz toll geschriebener Artikel! Ich glaub ich werde ihn mir selbst nochmal ansehen(und mir einen Ziegelstein mitnehmen).

    Liebe Grüße Kai

    • Sandmann sagt:

      Ay Kai,

      wie ich dir ja schon schrieb – deinen Plan, von vielen schönen oder besonderen Orten der Welt einen Ziegelstein mitzunehmen und später in die Mauern deines Hauses einzumauern finde ich großartig.
      Beim Leuchtturm hast du dahingehend Glück – selbst wenn er fallen sollte liegen die ganzen Steine noch da 😉 Du kannst dir also Zeit lassen.
      Falls du einen Zwischenstopp brauchst – im November bin ich wohl wieder oben…

      Sandmann

  8. Daemonarch sagt:

    Es ist immer traurig, wenn etwas altes, schönes (manchmal auch gar nicht so schönes) von Menschen gemachtes vergeht, es liegt aber irgendwie auch eine eigene Schönheit darin.

    Und ein wenig auch der tröstende Gedanke, wenn wir arrogante Menschheit uns irgendwann mal vom Planeten wegrationalisieren, wird der selbst dafür sorgen, dass es nach wenigen hundert Jahren aussieht, als wäre er nie von uns befallen gewesen…

    • Sandmann sagt:

      Ich bin da immer hin und her gerissen.
      Ich finde es auch traurig, wenn mir Vergänglichkeit vor Augen ist. Vor allem aber, weil mir meine eigene Endlichkeit bewusst wird, und da ich ziemlich gern hier bin ist das dann doof 🙁

      Und ich glaube nicht, dass wir Menschen uns komplett wegrationalisieren werden. Dafür sind wir viel zu anpassungsfähig. Na mal sehen. Und wenn doch – dauert es hoffentlich noch ein paar Generationen…

      Sandmann

  9. Snoopy sagt:

    Letztes Jahr habe ich wegen einer Erkältung den Besuch versäumt. Ich bin ja wirklich gespannt wann er der Kirche folgt…

    • Sandmann sagt:

      Ay Snoopy,

      Kirche? Welche Kirche? Ist da schon eine gekippt…?
      Planst du denn dieses Jahr eine Dänemark Tour? Im November konnte ich dich ja irgendwie nicht überzeugen 😉 Du hast einen wirklich guten Abend verpasst…

      Sandmann

      • Snoopy sagt:

        Ja gleich neben dem Leuchtturm Richtung Lönstrup stand die Marup Kirche. https://de.wikipedia.org/wiki/M%C3%A5rup
        Auch das eine oder andere Ferienhaus ist dort schon verschwunden.
        Den Weg dort runter oder rauf nehme ich auch jedesmal mit.

        Nach Dänemark wäre ich gekommen hätte ich es mit einer Woche dort koppeln können. Hat halt nicht funktioniert. Weil nur mal kurz vorbei hätte mich unglücklich gemacht 😉

  10. November sagt:

    Scheeene hast Du es wieder geschrieben !

    Vergänglichkeit….ja es macht einen traurig…bei unseren alten Autos können wir immer mal noch was machen, aber bei uns selber?…Wir werden älter, die Zeit scheint zu fliegen, wenn ich verdammtes Glück habe, dann hab ich erst das halbe Leben rum, aber ich weis natürlich auch, das die Jahre nicht besser werden , der Körper wird nicht mitspielen…vergänglich und traurig und die Sorge (wirklich jetzt) WAS wird aus meinen Oldtimern? Warum ich nicht frage WAS aus meiner Frau wird?…:HACH! sie wird mich überleben, schon mal weil sie ja einige Jahre jünger ist und HEY! sie war und ist immer taff, um sie muss ich mich nicht sorgen. Kinder sind meinerseits keine da…ob noch welche kommen…wer weis…ich lasse mich überraschen 🙂

    Die Zeit geht, ich habe Bäume gepflanzt, ein Geschichte von mir ist in einem Buch, ich helfe das alte Mühlengrundstück meiner Frau auf Vordermann zu bringen und das Kind kommt vielleicht noch…ich hinterlasse Spuren, aber wie lange wird man sie lesen können? Vergänglich…und grad bin ich sehr traurig und schließe lieber….

    Snoopy DANKE für den Link…den verlassenen Friedhof möchte ich mir unbedingt mal ansehen.

    WER das liest ist nicht doof und passt bitte auf sich auf!

    es grüßt von der Schwarzen Mühle…dor November.

    • Sandmann sagt:

      Ay November,

      hui da hab ich dich aber in herbstlicher Stimmung erwischt…
      Über Vergänglichkeit habe ich mir schon oft Gedanken gemacht, und je älter ich werde und je dichter die Einschläge kommen, desto mehr gehen meine Gedanken auch um dieses Thema. Schau mal hier KLICK die Geschichte heißt sogar so…

      In rund 2.000.000.000 Jahren stürzt die Erde sowieso in die Sonne, dann ist ALLES weg. Also auch unsere Autos 🙂 Ich weiß gar nicht so recht, ob man Spuren hinterlassen MUSS. Ich denke manchmal, dass auch alle Texte und Bilder, die ich so in meinem Leben mache, vielleicht noch meine Kinder oder maximal meine Enkelkinder interessieren könnten. Alle nachfolgenden Generationen kennen mich ja gar nicht mehr, und irgendwann ist mal wieder nur ein Jemand in der Masse der anderen Jemande.
      Trotzdem ist es, und da komme ich wieder zu dir, ein komisches Gefühl, keine Spuren zu hinterlassen und irgendwann einfach komplett weg zu sein, so als hätte man nie existiert. Hm. Komisch, alles.

      Falls ihr über Kinder nachdenkt – legt los. Kinder holen dich in deine eigene Kindheit zurück und halten dich mindestens im Kopf jung. Das ist toll, das tut sehr gut. Seit ich Kinder habe (nunmehr 23 Jahre…) ist Weihnachten erst wieder wie Weihnachten. Und wenn du erstmal wieder auf dem Boden sitzt und mit Lego spielst, ohne dich dafür rechtfertigen zu müssen… Das ist toll. So toll, dass ich im September gleich noch mal nachlege 😉
      Aber das ist eine andere Geschichte.

      Halte dein Gesicht in die Sonne
      Sandmann

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Ein bisschen Mathematik: *