Bracks Supreme

Der frisst dich auf, wenn du nicht guckst

Der frisst dich auf, wenn du nicht guckst

Über Köln geht ein Regen nieder, als würde das Jüngste Gericht sich diesen Tag für die letzte Abrechnung ausgesucht haben. Regen? Der kann mich jetzt auch nicht mehr erschüttern. Ich bin mit Thorsten Brack in seinem tiefschwarzen Oldsmobile Cutlass Supreme unterwegs und fühle mich wie im Bauch von Noahs Arche. Das liegt zum einen am kölschen Wetterchen, zum anderen an der schieren Größe des Gefährts. Nur zwei Türen, aber das Ding erweckt den Eindruck, als könne es locker zwei Lebewesen von jeder Art beherbergen und vor dem beharrlich prasselnden Kölnisch Wasser retten. Könnte. Heute aber nicht, heute rettet das Schiff mir nur den grauen Nachmittag. Und das mit Gebrüll.
Gniiiii *Klack* Der Knopf der langen, der wirklich sehr langen Fahrertür hebt sich mechanisch. Obendrauf steckt ein grimmig glotzender Totenkopf. Ein Pendant dazu findet sich auf dem Schalthebel am Lenkrad, ein anderer, etwas größerer, auf der Hutablage hinter den Rücksitzen. Gruselig, jede Menge Vanitas hier, passt zum Wetter.

Lass den Schädel sprechen

Lass den Schädel sprechen

Was ist das für eine Arche? Seinen Werdegang hat der Olds damals in den späten 60ern dem Pontiac GTO zu verdanken, der unerwartet schnell in der Käufergunst der Muskelfreunde stieg. General Motors wollte und musste im eigenen Hause reagieren, damit die Tochter Oldsmobile nicht nur die Auspuffrohre des GTO zu sehen bekam – und rief ratz fatz für das Grundmodell F-85 und den Cutlass die Ausstattungsserie „442“ ins Leben. Ursprünglich war das die Power-Option für nordamerikanische Polizeifahrzeuge und brach eigentlich das Konzerndogma, in der Mittelklasse keine Motoren mit mehr als 5,4 Litern Hubraum anzubieten. Aber der Kunde wollte kleine Autos mit viel zu großen Motoren. „442“ war somit ab 1964 die einfache Formel für: vier Vergaser, vier Gänge und zwei Auspufftröten. Das begriffen auch Mathe-Verweigerer. Aus die Ausstattung wurde eine eigene Modellbezeichnung.
Acht Jahre später bäumten sich die letzten Mid-Size-Coupés noch einmal in der Abenddämmerung der Muscle-Car-Ära zu einem letzten Angriff auf die Geldbörsen auf. Aus kleinen, filigranen Karossen mit mehr als genug Drehmoment auf der Hinterachse waren inzwischen schwere, große Karren mit reichlich Speck unter dem Hüftschwung geworden. General Motors übermalte die Tatsache, dass hier übergewichtige, plüschige Klötze gebaut wurden einfach mit weiterem Eingruppieren in das „Mittelklasse-Segment“ – und Motoren mit kathedralenähnlichen Hubräumen. Knapp acht Maßkrüge Bier als Brennraum und knapp 700 Newtonmeter Drehmoment konnten eigentlich nur Ozeandampfer übertreffen, und da war es fast egal, dass die Modelle an die zwei Tonnen schwer waren. Und Kurven gab es im Amerika der 70er Jahre nicht.

Einsteigen und wie neben Noah fühlen

Einsteigen und wie neben Noah fühlen

Ozeandampfer. Ach ja, Noah und so. Thorsten Brack nimmt es mit den Details seiner Autos nicht so genau. Er besaß einen 64½-Mustang und wollte den nicht mehr haben, die Sympathien füreinander waren abgegriffen – manchmal ist das bei in die Jahre gekommenen Beziehungen eben so. Also machte er sich auf die Suche nach etwas Klotzigerem mit langer Haube. Der Pixel-Café-Fotograf aus Köln wollte ein Pixelmobil haben: Eine zuverlässige, nicht zu schicke Amikarre, mit der man auch mal beim Kunden vorfahren kann. Direkt aus Kalifornien kam dann dieser Olds 442 zu einem Händler nach Mörfelden gerollt. Der wollte den Mustang, Thorsten den Olds – und die beiden tauschten schlicht die Autos.
Der schwarze Zweitürer war in einem guten Zustand, Thorsten nahm ihn nach einer kleinen Probefahrt und ein paar netten Burnouts mit nach Köln. Vor Ort sollte der Dicke noch frisch betankt werden, damit der Sprit auch bis vor die Haustür reicht. An einer freien Tanke mit ziemlich langsamem Durchsatz bei den Säulen ließ er laufen. Und laufen. Und laufen. Zwei mal ging er in die Knie und schaute unter das Auto, ob das gute Super vielleicht raustropft. Nein: 63 von 65 möglichen Litern gluckerten in den Tank. 7,5 Liter Hubraum wollen eben gefüttert werden. Argh.

Die Linie der Vernunft? Nein.

Die Linie der Vernunft? Nein.

Viele weitere Überraschungen kamen nicht. Außer, dass an dem Auto irgendwann mal eine Menge herumgebastelt wurde. Thorsten und seine Freunde investierten nach und nach rund 300 Stunden Arbeit und knapp 10.000 Euro in die Erneuerung der Heizung (die Klimaanlage war wie so oft einfach abgeklemmt und rausgerissen) und aller Vakuumschläuche, in eine Revision von Vergaser und Zündung, in neue Lager für Vorder- und Hinterachse, die Felgen sowie die zweiflutige Auspuffanlage. War schon beim Kauf nicht mehr viel original am Auto, ist es jetzt noch weniger. Thorsten ist kein Purist und trägt’s mit Fassung, muss aber immer wieder schmunzeln. Bei genauerem Hingucken sind nicht mal zwei gleiche Rückspiegel am Wagen dran. Man sucht noch… Fakt ist, dass der Cutlass 442 permanent schlecht gelaunt aussieht, aber seinen Dienst zuverlässig und ohne nervige Aussetzer verrichtet – der alte Säufer. Er ist eben kein liebenswerter Vertreter der Kabinenroller-Fraktion oder gar ein fröhlich lächelnder Austin. Er ist ein rabenschwarzer Oldsmobile, aus dem Vollen gefräst und in einer Zeit entstanden, als die Dimensionen eines Autos mehr zählten als womöglich praktisches Industriedesign. Mit der dicken Nase guckt der Wagen immer ein bisschen gelangweilt, und bei dem Wetter in Köln kann man ihm das nicht mal übel nehmen.

Kunst für den Mann

Kunst für den Mann

Die eigenen Herzkammern füllen sich wieder leicht mit Adrenalin angereichertem, warmem Blut, als sich die Brennräume des Olds mit kaltem Benzin füllen und das Triebwerk zum zornigen, bassigen Leben erwacht. Jaaaa, da sind sie, die acht Zylinder 😀 Im Inneren ist es angenehm trocken, und die Arche-Assoziationen reduzieren sich hier nur auf den Armaturenträger, dessen drei Rundinstrumente von einem plankenähnlichen Stück braunem Holz gerahmt werden.

In der Mittelkonsole verströmen noch drei weitere kleine Anzeigen ein warmes, gelbliches Licht. Sind die original? Weiß Thorsten nicht. Ihm ist auch viel wichtiger, mit der rechten Hand den Totenschädel an der Lenkradschaltung zu sich heranzuziehen und die erste von drei Fahrstufen an der TH-400-Automatik einzulegen. Ein anspruchsloses Heavy-Duty-Getriebe übrigens, das auch im Jaguar, Rolls-Royce und Ferrari zum Einsatz kam. Niemand spricht bei diesem späten 442 darüber, dass er nur noch drei statt der damaligen vier Gänge hat. Reicht doch auch. Der Dampfer setzt sich grollend in Bewegung und durchquert eine Unterführung, die sowohl den Regen kurz ausblendet als auch den Sound dramatisch betont. Er gleitet platschend durch tiefe Pfützen, in denen das verkleckerte Öl anderer Autos farbenfroh schillert. Egal, wer einem begegnet – die Leute freuen sich hinter ihren Kleinwagenfensterscheiben und unter ihren Regenschirmen über den Sound und die klaren Formen des Olds. Kein Vinyldach, kein überladener Chromzierrat, das Auto ist einfach klotzig, kantig, irre groß und schon vorbeigefahren. Und weg. Und der Tank ist auch wieder leer.

Auch ein Rücken kann entzücken

Auch ein Rücken kann entzücken

Thorsten Brack bewegt den Cutlass bei jedem Wetter, er ist das „Pixelmobil Nummer 1“. Der Wagen ist Protagonist bei Fotoshootings, steht auf US-Car-Treffen rum und wird auch gern mal zum wochenendlichen Haubensitzen bemüht. Fast alle Freunde passen auf diese eine schwarze Haube, und je nachdem, wie lang die Anreise ist, kommt von unten eine kernschmelzengleiche Wärme hoch zum Kölsch.
Der 1972er Cutlass Supreme ist vielleicht das letzte wirklich als cool zu bezeichnende Coupé von Oldsmobile. Was GM danach auf die Räder stellte, lässt sich wie eine Schablone über die kantigen Karossen von Ford und Chevrolet legen. Immer noch krass groß, aber nicht mehr mit diesen wollüstigen Linien gezeichnet. Ölkrisen, überforderte Versicherungsgesellschaften und neue Abgasvorschriften leiteten das Downsizing ein – erst bei den Motoren und dann bei den Modellen selbst. Und auch wenn die bunten Pinstripes auf dem schwarzen Lack ein bisschen wie das Arschgeweih einer 16-jährigen Vorstadtschönheit aussehen, der Gesamtauftritt des Pixelmobils ist konsequent und kompromisslos. Jeder wie er will, inklusive des Totenschädels auf der Hutablage. Und wenn man genau hinschaut, scheint der ein bisschen zu lächeln.

Sandmann

Danke an Pixel Café Cologne

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Über Sandmann

Die Zeit ist zu knapp für langweilige Autos, Abende vor dem Fernseher oder schlechten Wein. Ich pendel zwischen Liebe, Leben und Autos und komme nicht zur Ruhe. Aber ich arbeite daran.

7 Antworten zu Bracks Supreme

  1. Also hässlich find ich den Cutlass auch wieder nicht, ist eben was anderes als man in Deutschland gewöhnt ist, leider ist kein Foto von der Hutablage dabei, hätte mich mal interessiert, wie da der totemkopf draufpasst! Ich finde den Ami Style einfach schön!

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