Wein am Rhein

Frieden und fließend Wasser

Frieden und fließend Wasser

Zwei Tage raus an den Rhein. Das klingt aus der Sicht eines Kielers wie ein Fernurlaub in Süditalien. Der Rhein. Das ist ein Fluss. Der ist echt weit weg von Norddeutschland. Zwei Tage mit Musik, Wein und vielen Worten. Ich fahre mit meinem alten Schulfreund Lutz runter nach Eltville, südwestlich von Frankfurt. Da findet jeden Sommer das Knyphausen Heimspiel statt, ein kleines, feines Festival, veranstaltet von Gisbert zu Knyphausen auf dem Weingut seiner Eltern direkt an diesem Flüsschen. Ich kenne Gisbert nicht, ich kenne auch bis auf Element of Crime die anderen Bands auf der Setliste nicht – aber das ist nebensächlich. Die Aussicht auf zwei Tage mit Lutz im Taunus, im Zelt und vor der Bühne sind für mich Festival genug. Freitag bis Sonntag nur Unsinn reden, frischen kühlen Wein genießen und Musik um die Ohren geblasen bekommen. Ein Traum. Kommt mit, tief in meine wirren Gedanken.

Zeitlich sind wir noch vor meiner Fahrt nach Südfrankreich.

Das passt da irgendwie alles rein.

Das passt da irgendwie alles rein.

Es ist der erste echte Test für das Coupé. Heute sind wir zwar nur zu zweit, müssen aber ein großes Zelt, Luftmatratzen und Schlafsäcke mitnehmen. Und ein paar Einweg-Grills sowie die üblichen Ersatzteile. Wein gibt es auf einem Weingut mitten in einem Weinanbaugebiet vermutlich zu kaufen, aber man weiß ja nie, also packe ich lieber noch sechs Liter dazu. Drei rote, drei weiße (mit dem herrlichen Aufdruck „Das Leben ist zu kurz für schlechten Wein“). Kofferraum-Tetris. Lutz kommt in aller Frühe mit seinem Fiesta aus dem schönen Plön rübergefahren, ist zu früh und kommt noch in den Genuss, mit mir zusammen das viertelfinnische Sandmädchen zur Kita zu bringen. Die Alltagsorganisation darf ja nicht liegenbleiben, nur weil zwei Jungs beschließen, sich für ein Wochenende auszuklinken…
Unnachahmlich charmant werden wir von einem TomTom geführt, was fast so alt ist wie der Taunus. Da meine Ur-Lisa abgeschmiert ist und mein neues 6200 GO noch nicht geliefert wurde plaudert so ein alter, knubbeliger Kasten mit uns, den ich noch auf dem Dachboden liegen hatte. Kartenmaterial von 2005, aber die Autobahnen werden sich bis Eltville schon nicht so heftig verändert haben. Der Knudsen schnurrt, der Himmel reißt auf. Wir reden, lachen und hören Musik. Und freuen uns über Autobahnschilder, die passender nicht sein könnten.

Hahaha ein Klassiker

Hahaha ein Klassiker

Auf dem Campingplatz konnte man telefonisch oder im Netz nicht vorbestellen. Man hätte schlechte Erfahrungen mit Leuten gemacht, die dann einfach nicht gekommen seien. Aber für ein Auto und ein Zelt fände sich immer ein Plätzchen. Sagt man. Das letzte Mal ohne eine feste Reservierung bin ich 2007 mit dem Audi V8 in Südfrankreich gewesen. Nicht jede einzelne Stunde auf der Suche nach einem Bett in ausgebuchten Hotels fand ich toll. Inzwischen schätze ich es, wenn ich morgens weiß, wo ich am Abend verbindlich mein Haupt betten kann. Aber nein. Geht nicht. Umso entspannter lächel ich, als eine Dame mittleren Alters uns am Eingang an einem Tisch sitzend empfängt, unsere Personalien aufnimmt, lächerlich wenig Geld kassiert und dann sagt: „Fahrt rauf und sucht euch irgendwo einen Platz. Da wo noch was frei ist„. Ah. Na gut, zwei Nächte, da kann nichts schief gehen, egal wo das Zelt aufgebaut wird. Nach zwei gullernden Runden im Schritttempo um das kleine, gut gefüllte Areal nehmen wir eine Ecke in zweiter Reihe, neben einem großen Unterstand. Das soll sich später noch als gute Idee erweisen.

Ich dachte, aus dem Alter wäre ich raus...

Ich dachte, aus dem Alter wäre ich raus…

Ich habe es noch, mein wundervolles Zweizimmerzelt mit Billardtisch und Aufenthaltsraum, bekannt aus Funk und Fernsehen und der ersten Frankreichreise. Eigentlich bin ich aus dem Alter, wo man auf dem Boden zwischen Ameisen schläft, längst raus. Aber was soll’s, Lutz und ich haben uns 1986 zeltend, gitarrespielend und von Silke schwärmend einen ganzen Sommer gut verstanden, das ist inzwischen 31 Jahre her. Unter einem Kirschbaum im Garten ihrer Eltern war der Sommer einfach und fast unendlich. Popcorn, Lebkuchen, Erdbeeren. Abends Kerzen. Und jeden Mittag die leckeren Mittagessen bei meiner lieben Oma. Da kann man doch sehr gern mal für zwei Tage die alten Traditionen wieder aufleben lassen und gemeinsam ein Zelt aufbauen. Luftmatratzen müssen heute auch nicht mehr mit der eigenen Lunge befüllt werden, dafür gibt es kleine, elektrische Pumpen. Ich freu mich auf zwei Nächte hier draußen, das Wasser des großen Flusses rauscht leise und beruhigend und rund um uns herum scheinen die alle recht entspannt zu sein. Schnellen Schrittes würde der Weg zum Gut Knyphausen eine halbe Stunde dauern, orakeln unsere schon leicht angetrunkenen Nachbarn. Das sollte kein Problem sein, aber vorher will ich mit dem Taunus noch einmal raus, den Rhein hoch, ein paar schöne Bilder machen…

Savoir Vivre am fließenden Wasser

Savoir Vivre am fließenden Wasser

Autos, Reisen, farbenprächtige Landschaften und Wein. Das passt alles gut zusammen, und demnächst wird man an anderer Stelle davon ein paar Geschichten lesen. Ich freu mich drauf, das hier war der Anfang 😉 Lutz hat Durst. Lutz will los. Mit einem Becherchen Geh-Wein bewaffnet stapfen wir hungrig und neugierig am Ufer entlang in die grob richtige Richtung, ohne so recht zu wissen, was uns da heute eigentlich erwartet. Später soll es Element of Crime sein. Die flapsige Deutsch-Combo des trompetespielenden Bremers habe ich erst spät lieben gelernt. Die Jungs sind nach Lutz der Hauptgrund, warum ich mich auf diese Reise eingelassen habe, allein schon weil mein viertelfinnisches Sandmädchen eine Handvoll Lieder von denen textsicher mitschmettern kann. Kaffee und Karin, Birgit und Bier, Jammern und Picheln im Gartencafé ♫ Von allen anderen habe ich noch nie gehört, aber das muss ja nicht schlecht sein. Neue musikalische Impulse kann ich immer gutheißen, manchmal wundert man sich ja, was bei „das könnte Ihnen auch gefallen“ so auftaucht.
Die Angabe der Wegstrecke stellt sich auch bei sehr wohlwollender Betrachtung als maßlos schöngeredet dar. Nach einer halben Stunde sind wir noch nicht einmal in der Nähe des Geländes. Lutz setzt noch einen obendrauf und springt, eine Abkürzung vermutend, von einer ziemlich hohen Mauer ziemlich tief runter auf die Straße, was zur Folge hat, dass man am gesamten folgenden Abend seine Knochen knirschen hört. Der Ärmste. Irgendwann, viel weiter den Rhein hinauf, tönen entfernt an Musik erinnernde Klänge durch die Reben. Wir sind da! Das ist auch gut, der mitgeführte Wein ist seit 20 Minuten alle.

Spektakuläre Themengläser

Spektakuläre Themengläser

Cool: Am Eingang bekommen alle, die eine gültige Eintrittskarte vorzeigen, ein graviertes Weinglas mit den Headlinern des Abends. Das muss natürlich gefüllt werden, und so finden wir uns in der milden Abendsonne zwischen Festivalzelten wieder, schlürfen feinen, kühlen Knyphausen Riesling und lassen uns von den Klangexperimenten eines gewissen „Hauschka“ berallern. Lutz kennt und mag ihn, ich denke eher, dass ich kein Hardcore Fan werde. Aber in die Atmosphäre hier passt das schon ganz gut rein, es ist warm und wir sitzen zwischen netten Menschen quasi mitten in den Weinreben.
Dank google erfahre ich auch endlich, wo ich hier gelandet bin. Gisbert zu Knyphausen ist einer der großen Deutschen Barden, seht textlastiger Gitarren-Pop mit Singer-Songwriter-Anleihen. Ich könnte nicht ein einziges Lied von dem Mann repetieren, irgendwie ist der all die Jahre an mir vorbeigeflutscht. Lutz hat mir bei unserem ersten Wiedersehen ein paar Lieder von ihm vorgesungen. Oha. Da war ich dann wohl schon zu betrunken, um mir das zu merken. Unangenehm. Ich schmelze beide Tage und Abende hier ein wenig zu einem einzelnen Event zusammen… Was dazwischen war, ist nicht wirklich erzählenswert 😉

Männer und Musik. Passt.

Männer und Musik. Passt.

Und so treffen sich also in jedem Jahr rund 2000 Menschen hier auf der Wiese der Eltern des Barden. Eine kleine Bühne steht vor dem Gutshaus, in ein paar Zelten drumrum werden Wein, Burger, Würste und vegetarische Pilztaschen verkauft. Es duftet nach Holzfeuer, Gegrilltem und bewusstseinserweiterndem Rauchwerk. Mittendrin die wohl entspanntesten Leute, die ich je auf einem Konzert gesehen habe. Quirlige Kinder mit Ohrenschützern klettern auf ihren Eltern rum oder spielen auf ausgebreiteten Decken, knuddelige Pärchen turteln und trinken Wein, alle scheinen gute Laune zu haben und niemand drängelt in die erste Reihe. Vielleicht auch deshalb, weil die perfekt performenden Protagonisten und beständig bemühenden Barden optisch allesamt mit Robbie Williams nicht viel gemein haben. Es ist toll, die zu hören, direkt sehen muss man sie nicht. Ich denke ernsthaft darüber nach, im nächsten Jahr mein viertelfinnisches Sandmädchen mit herzubringen. Vielleicht auch ihre Mutter, das hängt ein bisschen von der Liste der Bands ab. Mit Sven Regener und seinen Leuten käme sie jetzt schonmal klar…

Entspannter kann kein Festival sein.

Entspannter kann kein Festival sein.

Andererseits ist es hier und heute auch ganz fein, sich einmal nicht um eine kleine Thronfolgerin kümmern zu müssen. Einfach nur da sein, sagenhaft köstlichen Wein aus diesen schönen Gläsern trinken, der Musik lauschen und hier und da Menschen vom Campingplatz wiedererkennen. Viel mehr ist für einen wirklich guten Abend nicht nötig. Nach fast 22 Jahren permanentem Papa Seins sind solche Momente ab und an ganz fein. Einfach einmal den in diesem Jahr notorisch verregneten Norden hinter mir lassen, mit Lutz babbeln und lachen und mir für 48 Stunden um nichts Gedanken machen müssen. Aussteigen. Und dann kommt der Bremer mit seiner Trompete. Von diesem Moment an ist der Abend ist ein nicht nur ein guter, sondern ein richtig guter Abend.

Der Mann schreibt nicht nur, er singt und trompetet auch...

Der Mann schreibt nicht nur, er singt und trompetet auch…

Ich drehe an der Uhr, ohne dass ihr es faktisch bemerken würdet. 24 Stunden später hat sich nicht viel geändert. Wir wissen inzwischen, wie lange man wirklich vom Campingplatz zum Knyphausen Anwesen gehen muss, die Headliner sind etwas anders und ich gestehe mit schamgesenktem Haupt, dass ich bei zwei Liedern von Herrn Knyphausen Tränchen in den Augenwinkeln hatte. Lutz steckt mir, dass seine Musik ihn durch schwere Zeiten gebracht hat. Das glaube ich ihm jetzt sofort, und wenn er mir nächstes Mal ein Lied von dem vorspielt werde ich genauer zuhören. Wer also genau wie ich den smarten, singenden Gitarristen gar nicht kennt, sollte mal reinhören. Vorausgesetzt, ihr könnt mit balladenhaftem, deutschen Liedgut was anfangen. Locas in Love sind wieder an mir vorbeigerutscht, dabei habe ich heute doch noch gar nicht so früh mit dem Wein angefangen. Und wer sind „The Notwist“? Ich lese die richtige Schreibweise von meinem neuen Weinglas ab und frage das per SMS mein halbfinnisches Fräulein Altona und die Gemeinde auf Facebook. Von beiden Seiten ernte ich große Augen und die Frage, ob ich denn die zweite Hälfte der 90er musikalisch verschlafen hätte? Äh…

Noch zu entdeckende Headliner.

Noch zu entdeckende Headliner.

Öh… also weder Lutz noch ich haben auch nur ansatzweise irgend etwas jemals von dieser Band aus Oberbayern gehört. Das stößt auf Unverständnis, „beste Band der Welt“ und „die Neon Golden hab ich bestimmt schon 500 Mal gehört“ sind nur stellvertretend für die Tatsache, dass anscheinend fast alle die Jungs vor rund 20 Jahren heftig abgefeiert haben. VIVA. MTV. USA Tour. Ups. Wir organisieren schnell noch eine kalte Flasche KNYP Riesling zum Nachschütten und bauen uns diesmal recht weit vorn auf. Platz ist wie gestern auch genug da, die Familien mit Kindern und Wolldecken haben vor der fortgeschrittenen Zeit kapituliert. Dann wird es auf der Bühne dunkel. Und ich beginne zu verstehen, warum ich als Musiker Kopfschütteln ernte, wenn ich behaupte, The Notwist nicht zu kennen.

The Notwist blasen die Hirne raus. Mehrfach.

The Notwist blasen die Hirne raus. Mehrfach.

Gitarrenriffs, Synthesizerteppiche, Samples, Lichtgewitter und mittendrin die irgendwie sanfte, nerdige Stimme von Markus Acher. Völlige instrumentale Eskalation wechselt sich ab mit wunderschönen Melodien, alles ist anders als alles bisher gehörte, aber so geil! Lutz filmt sich die Finger wund und ruft immer wieder fassungslos: „Wie konnten die nur an mir vorbeigehen??“ Da stimme ich zu. Andächtig lasse ich mich von diesem hochemotionalen Feuerwerk reinziehen und lösche ab und an meine innere Hitze mit einem Schluck Weißwein. Ich muss nochmal recherchieren, was mich zur Hochphase dieser Band bloß so beschäftigt hat, dass ich die nicht mitbekommen habe. Wahrscheinlich ich selbst. Wie so oft. Daran muss ich mal arbeiten.
Das Festivalgelände ist stockdunkel, Blitze eines entfernten Gewitters zucken über dem Rhein. Rund 15 Jungs und Mädels, die sich auch alle in Richtung Campingplatz aufmachen wollen (und die wir in den letzten Stunden ein bisschen kennen gelernt hatten) werden sich nicht einig, wie der Abend denn nun ausklingend verbracht werden könnte. Lutz und ich sehen da schon ein bisschen klarer. Nachdem die letzte Nacht nicht die allerlängste war, wollen wir nach diesem akustischen und optischen Spektakel eigentlich nur noch zurück zum Zelt. Zumal das Wetter zu kippen droht, Petrus scheint von dem Blitzgewitter eben auf der Bühne geweckt worden zu sein.

Szenen kurz vor der Sintflut

Szenen kurz vor der Sintflut

Nachdem wir gut gelaunt den Weg am Rhein erreicht haben, fallen erste Tropfen. Unsere anfänglichen Begleiter sind bei einer Cocktailbar hängen geblieben, die noch Alkohol übrig hatte. Die Blitze sind nun direkt über uns, und es ist völlig illusorisch, dass heute wir trocken zum Zelt kommen. Gerade als ich mein Telefon aus technischen Gründen lieber ausmachen will, stürzen so unfassbare Wassermassen vom Himmel, dass wir sogar unter den Bäumen innerhalb von wenigen Sekunden klatschnass sind. Blitz und Donner verschmelzen zu einem einzigen, über uns tobenden Schauspiel der Naturgewalten. Meine Finger sind so klamm, dass ich das iPhone damit nicht mehr ausschalten kann! Nichts geht mehr. Also finden wir uns lachend damit ab und versuchen nur noch, uns irgendwie vor dem totalen Absaufen zu schützen. Die Schuhe schmatzen, die Klamotten kleben am Körper, wenigstens ist es während dieses Armageddons nicht kalt. Ich kann mich nicht erinnern, jemals so ein Gewitter erlebt zu haben.
Kurz bevor wie auf dem Campingplatz ankommen, singt aus meiner irgendwann doch durchnässten Hosentasche Gunter Gabriel. Die Kombination von zu viel Wasser und einem Touchdisplay hat irgendwas auf Youtube losgetreten, was sich nicht mehr kontrollieren lässt. Aber warum Gunter Gabriel? Ein Zeichen?

Endgültig abgesoffene Camper.

Endgültig abgesoffene Camper.

Unter dem großen Unterstand neben unserem Zelt haben sich ein paar weggespülte Camper zusammengefunden und hängen brummelnd ihre Sachen zum Trocknen auf. Gute Idee, das machen wir auch gleich. Das Zelt war zum Glück einigermaßen dicht, auch die Technik und mein Laptop sind in einer Ecke des mittigen Billardzimmers trocken geblieben. Ob meine Chucks allerdings in diesem Leben jemals wieder trocknen werden wage ich anzuzweifeln. Nasse Chucks riechen wie nasser Hund. Aber das ist eine andere Geschichte. Irgendwann schlafen wir ein, mit immer noch nassen Füßen und ein bisschen Unwohlsein, ich weiß nun wieder, warum ich nicht mehr so gerne zelte. Ne heiße Dusche und ein trockenes Bettchen wären jetzt um Längen besser als eine klamme Luftmatratze. Aber der Knyp Riesling (feinherb) sorgt auf angenehme Weise dafür, dass der Schlaf tief und entspannt ist.
Und nach jeder nassen Nacht folgt ein trockener Morgen.

Männerfrühstück. Guten Appetit.

Männerfrühstück. Guten Appetit.

In Ermangelung von frischen, knusprigen Bäckerbrötchen grillen wir uns die noch übrigen Würstchen und ertränken sie in scharfem Ketchup. Dazu gibt es leckeren Instant Kaffee auf dem Gaskocher, den ich samt Kartusche im Kofferraum vom Granada gefunden habe. Geht noch. Habe ich mal erwähnt, dass Instant Kaffee für mich immer wie Urlaub schmeckt? So einen fein gerührten Nescafé ziehe ich in dieser Situation jedem Double Venti Half Roasted Housebrew Vintage Less Milk No Sugar Coffee To Go (für 7 Euro oder bei Starbucks „wie heißt du?“) vor. Stößchen.
Heute, am Sonntag, verpassen wir den Frühschoppen und die singende Frau Holofernes. Ich kann beides einigermaßen verschmerzen. Meine musikalischen Synapsen sind von gestern Abend nachhaltig querverdrahtet, ich muss vermutlich auf dem gesamten Rückweg nicht wirklich auch nur einen einzigen Akkord in meinen Ohren hören. Lutz erzählt, der Taunus gluggert und röhrt. Mehr als erwartet. Das Endrohr vom Auspufftopf hat sich gelöst, nicht schlimm, aber akustisch kraftvoll. Egal, weiter geht’s.

Heimweg für Profis.

Heimweg für Profis.

Während auf dem kunstledernen Rücksitz klitschnasse Handtücher vor sich hin dampfen und meine stinkenden Chucks in den Kofferraum verbannt wurden, kehrt nach diesen zwei Tagen genau so schnell der Alltag wieder ein, wie er sich auf dem Hinweg ausblenden ließ. Stau. Na klar. Immerhin bilden die (alle in einem Boot sitzenden) Kraftfahrzeughalter eine anständige Rettungsgasse, die auch prompt von den Ordnungshütern genutzt wird. Lalü. Damals noch nicht wissend, aber schon so eine Ahnung habend, dass der Knudsen lange Stehzeiten im Standgas nicht so gern mag mache ich den Motor aus. Zeitdruck haben wir nicht wirklich, aber irgendwann heute möchte ich doch gern wieder zu Hause sein. Lutz auch. Der muss ja zusätzlich noch von Hamburg weiter bis nach Plön! Und von der letzten Nacht sind unsere Finger noch immer so schrumpelig wie nach drei Stunden Badewanne. Sind das Schwimmhäute da zwischen meinem Daumen und meinem Zeigefinger?

Ach A7, meine A7...

Ach A7, meine A7…

Der Vorteil, vielleicht der einzige, an einem Stau ist – er gibt dir Zeit zum Reflektieren. Was war das denn bitte gerade für ein kurzer, intensiver Trip aus alter Freundschaft, neuer Musik und Naturgewalten? Ich glaube, genau so etwas macht alte, wirklich gute Freundschaften aus. Du siehst dich manchmal Jahre nicht, aber das hat jeweils Gründe. Niemand nimmt es dem anderen übel. Und wenn man sich dann einmal wiedersieht, ist es so, als wäre nicht einmal eine Woche vergangen. Alte Freunde sind eine schöne Beständigkeit in einer unsteten, sich immer weiter verändernden Welt. Gut, dass es Freunde wie Lutz gibt. Irgendwann zelten wir nochmal bei Silke im Garten. Aber jetzt verarbeiten wir erstmal die Musik, den Wein und die vielen Eindrücke, die wir auf einem sehr speziellen Festival gesammelt haben. Ich bin beseelt und gebe zurück in die Sendezentrale.

Sandmann

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Über Sandmann

Die Zeit ist zu knapp für langweilige Autos, Abende vor dem Fernseher oder schlechten Wein. Ich pendel zwischen Liebe, Leben und Autos und komme nicht zur Ruhe. Aber ich arbeite daran.

10 Antworten zu Wein am Rhein

  1. MainzMichel sagt:

    Da warst Du ja fast bei mir um die Ecke!

    Adios
    Michael
    Der auch keine Band von denen kennt. Nur die Holofernes, die ich aber ebenfalls nicht brauche.

    • Sandmann sagt:

      Ay Michel,

      bei irgend jemandem bin ich gefühlt immer um die Ecke 😉
      Wenn ich VORHER sagen würde wo ich mich rumtreibe hätte ich vermutlich immer einen Kaffee oder ein Bier in der Hand und würde den ganzen Tag mit Leuten über Autos plaudern 😀 Aber das wäre ja nicht sooo schlecht.

      Element of Crime kennst du auch nicht? Na ja, die kannte ich ja wenigstens.

      Sandmann

      • MainzMichel sagt:

        Das mag daran liegen, daß du jünger bist als ich. Den Namen habe ich natürlich schon gehört, aber auch nicht mehr. Meine Musik ist eher aus den Achtzigern.

        Adios
        Michael

        • Sandmann sagt:

          Oh Gott endlich mal jemand, der mich als „jünger“ bezeichnet. Diese Momente werden rar im Leben eines 46 Jahre alten Sackes 😉

          Meine Musik ist auch eher aus den 80er und 90ern. Aber durch meine Kinder bin ich am Ball geblieben und schranze mir nicht ausschließlich den alten Kram durch die Ohren 😀
          Am Ende ist es ja auch Geschmackssache, und wie mein Artikel auch beschreibt, manches geht auch einfach an einem vorbei. Warum auch immer…

          Guten Wochenstart
          Sandmann

  2. Bastian sagt:

    Ach ja….Meeemorieeeessss….

    Notwist waren für mich persönlich eine DER Bands in den späten 90ern. Die wirklich prägenden Alben des Grunge lagen schon ein paar Jahre zurück, als ich, damals noch in meiner ersten WG in Köln, Bands wie eben Notwist, Motorpsycho, oder Dinosaur Jr. kennenlernte. Die hatten zwar zu dem Zeitpunkt alle schon ein paar Alben auf dem Buckel, nur kannte ich die vorher eben nicht. Wenn mich die Erinnerung nicht zu sehr trügt, haben Notwist und Motorpsycho mal innerhalb einer Woche (oder nur wenige Tage mehr) im Kölner Underground gespielt. Was war das geil, meine Fresse…vor wenigen hundert Leuten, ein Hochamt des Indierock 😉

    Das Underground hat diesen Monat das letzte Mal geöffnet, wird abgerissen. Auch wenn ich schon lange nicht mehr in Köln lebe, hat mich die Nachricht ziemlich betroffen gemacht. Da fand ein großer Teil meines Lebens zu der Zeit statt. Ich werde ein Reissdorf drauf trinken.

    Cheers

    • Sandmann sagt:

      Ay Bastian,

      ja guck… Vielleicht war ich in den 90ern einfach zu Mainstream für sowas. Ich hing doch mehr bei den Counting Crows, Verve Pipe oder Cranberries rum. Grunge war mir zu rotzig, Elektro zu elektrisch. Heute sehe ich das anders, Notwist hätte mir damals aber auch schon durchaus gefallen, glaube ich.
      Na ja, besser spät als nie.

      Traurig, wenn Plätze verschwinden, mit denen mal eine wichtige Phase im Leben verbindet. Auch wenn man lange nicht da war. Mir geht das oft bei Geschäften so, in denen ich gern eingekauft habe. Von der Kaufhalle in Uelzen über Karstadt in Kiel bis zum kleinen Kiosk an der Ecke. Alles verschwindet, und nichts vergleichbares kommt nach. Die Welt verändert sich. Das ist gut, aber das ist manchmal eben traurig.
      Und nun ist auch noch Tom Petty tot 🙁

      Sandmann

  3. Daemonarch sagt:

    Verrückt… Hier im Schloß Bodelschwingh residieren seit Jahrhunderten auch gewisse von Knyphausens… Ein Zufall? Von Gisbert zu Knyphausen hatte ich zumindest schonmal gehört, meine Tante steht auf das Zeug von ihm.

    • Sandmann sagt:

      😀

      Kannst ja mal googeln. Ich hab den Namen vorher noch nie gehört und weiß also nicht, wohin die sich überall verbreitet haben.
      Gisbert singt unterhaltsam. Nicht ganz so mein Ding, sehr hart Singer/Songwriter, aber ich war doch von einigen Liedern echt berührt. Na ja. Das Leben, der Wein….

  4. SteffenG sagt:

    Ay Sandmann,

    natürlich warst Du auch bei mir um die Ecke! 😉

    Element of Crime ist mir von allen auch am Bekanntesten. Wobei ich Sven Regener dann doch eher als Schriftsteller kenne.

    Dagegen sind mir die Knyp-Weine doch schon häufiger begegnet. Gerade im Rheingau ist ein guter Riesling aber leichter zu finden, als in allen anderen Weinbaugebieten. Dort kannst Du auch schön cruisen, da hinter Eltville nur noch 80km/h gelten und die Landschaft auch dazu einlädt.

    Aber ein Zelt braucht man nicht wirklich. Die Zeiten sind für mich definitiv vorbei! So ein anständiges Zelt kostet ja mittlerweile auch einiges und verlangt nach Pflege. Da miete ich mir lieber eine Ferienwohnung oder Mobile Home. Bin eben Spießer…

    Grüße

    Steffen

    • Sandmann sagt:

      Ay Stefan,

      ich bin ja genaugenommen auch Spießer, was die Schlafgelegenheit betrifft. Aber die Vorstellung, mit dem Lutz nach so langer Zeit mal wieder in einem Zelt zu schlafen war schon klasse 😉 Und auch okay für die zwei Tage.

      Ja, Riesling. Tatsächlich schreibe ich ab sofort für einen renommierten Weinhandel aus Lübeck, und tatsächlich habe ich auch da unten gleich mal ein paar gute Tropfen vom Weingut Weil verkostet. Man wird davon lesen….

      Aber im Rheingau war ich sicherlich nicht zum letzten Mal. Allein schon, weil ich noch immer nicht mal bei euch zu Hause war!

      Sandmann

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