Es regnet. Zeit und Muße, ein lange verschwiegenes Kapitel aufzureißen: Was steht denn so auf den deutschen Hutablagen rum? Wenn Sie einen Kombi haben, dürfen Sie weiterblättern, Sie spielen nicht mit. Und alle anderen? Verkommt der gute Wackeldackel aus den 70ern zu einem billigen China-Nachbau-Scherz? Liegt da vielleicht sogar ein HUT, wie der Name vermuten lässt? Wann haben Sie zuletzt einen Autofahrer unter 80 mit einem Hut gesehen? Na gut, ich mache einen Anfang und stelle Ihnen meinen Schrein jenseits der hinteren Kopfstützen vor. Und verkneifen Sie sich das Lächeln, ich mein es ernst.
„Die Hutablage bezeichnet den waagerechten Bereich im Automobil zwischen Heckscheibe und Rücksitzlehne“ sagt irgend jemand bei Wikipedia. Das war einmal so, damals, in den Zeiten der Limousinen. Heute, wo SUVs und Kleinstbusse den flexiblen modellverwässernden Automobilmarkt wie eine Pest unterwandern, endet mit der Heckscheibe zumeist das ganze Auto, zwischen ihr und dem Rücksitz ist Stauraum, aber keine Hutablage. Ein ernstes Problem für jeden Lautsprecher-Einbau-Freak, wohin mit den Dingern??? Und wohin bloß mit all den anderen schönen Sachen?
Zwischen meinen BOSE-Boxen befinden sich seit einigen Jahren genau vier Dinge, und die werden da wohl auch bis in alle Zeit bleiben. Von draußen sieht man, wenn überhaupt, nur die braune Mütze mit dem Bommel… Ja, es ist wahr, ich habe seinerzeit meine Oma gebeten, mir für meinen Audi 100 5E bitte ein Klorollen-Mützchen zu häkeln, mit Bommel oben drauf und mit einer Troddel. Insofern authentisch, einzig die braune Farbe harmonierte damals ein wenig besser mit dem vorhandenen Interieur. Nun, so eine Klorolle gehört in der Retro-Generation einfach dazu, und seien wir mal ehrlich, wie oft haben meine Kinder schon nach hinten gegriffen und sich mit dem Klopapier die eisverschmierten Münder abgewischt? Eine tolle Sache. Kann ich nur jedem empfehlen.
Gegenüber fällt ein gerahmtes Bild auf, aber nur, wenn man neben dem Auto steht und reinschaut. Ich werde oft gefragt, ob das Brösel ist oder Werner, „wie cool, du hast ein Foto von dem?“ Nein. Das ist Klaus. Klaus ist so alt wie ich und am 1. Mai 2005 gestorben. Auf der Trauerfeier standen eine Menge gerahmte Fotos von dem Guten rum, und ich habe eins mitnehmen dürfen. Lange Zeit ist er auf dem Beifahrersitz mitgefahren, und ich habe ihm gezeigt, wie die Welt jetzt ohne ihn so aussieht. Heute guckt er durch die Heckscheibe die Wolken und die Sterne an. Wenn es regnet, denke ich oft an ihn.
Neben Klaus liegt eine Bibel. Jetzt denken einige, ich sei unter die Prediger gegangen. Nein, nein, ich glaube zwar an einen Gott, aber ich versuche das nicht meinen Mitmenschen aufzudrängen. Es handelt sich um eine altdeutsche Bibel, wie sie früher in jedem Hotelzimmer zu finden war. Auf einer grandiosen Party vor einer Disco auf Fehmarn in meinem Cadillac Eldorado (die Party in der Disco war katastrophal) haben Markus, Joe, Jan und ich uns aus dieser Bibel vorgelesen, N-Joy-Radio gehört, und eine Menge Bier und Cheeseburger verdrückt. Ich habe einige gute Erinnerungen an diesen Abend, vielleicht war es einer der letzten unbeschwerten Abende dieser Zeit. Die Bibel ist geblieben, sie ist alt und abgegriffen und macht sich gut auf der Hutablage. Niemand liest mehr daraus vor, aber bei schwierigen Überholmanövern ist sie noch immer dabei.
Das Kreuz aus Messing rundet die vermeintliche Religiösität hinter Glas noch ab, ich hab es seit meiner Konfirmation und es passt ganz gut zur Bibel. Wenn schon, denn schon. Meine Kinder nehmen es manchmal und schauen sich die Bilder darauf an. Da habe Sie jetzt nicht mit gerechnet, wie? Ein nachdenklicher Sandmann… Noch dazu mit so einem Jesuskrams. Das ist da halt alles hinten so drauf, wenn Sie sich belästigt fühlen, stellen Sie eben bei sich was anderes da hin.
Einen Hut tragen heute nur noch wenige Menschen, ich finde das eigentlich schade, denn es gibt noch immer ziemlich coole Hüte zu kaufen. Aber in heutigen Autos ist ohnehin nicht daran zu denken, einen Hut zu tragen, Kopffreiheit ist dem Windkanal gewichen. Na ja, und weglegen kann man ihn ohne Hutablage ja auch nicht… Vielleicht denken Sie jetzt über eine Neuorganisation Ihres Heck-Schaukastens nach? Nehmen Sie doch mal die Schalke-Wimpelkette raus und hängen was neues auf. Waschen Sie mal das Kuschelkissen, auf das Oma Ihr Nummernschild gestickt hat. Und schimpfen Sie mich bitte nicht aus, weil bei einem Unfall meine vier Teile wie Geschosse nach vorne fliegen können. Schließlich sind es gutherzige religiöse Fragmente, und die Klorolle ist samtweich. Es regnet noch immer. Lebe wohl, Klaus. Was du jetzt wohl gerade machst?
Sandmann
Ich fahre Kombi(s) und hab’s bis zu Ende gelesen und bin froh , dass getan zu haben.
Ay Will,
ich hab ja inzwischen auch einen Kombi… Aber ich bin nach wie vor froh über die Ablagen im Coupé und im Audi 100. Klaus wohnt inzwischen im KaSi…
Und jetzt bin ich noch ein bisschen traurig, gieße noch einen Wein nach, singe das Lied, was ich damals für ihn in der Kirche gesungen habe und gehe dann schlafen.
Sandmann
Oha. Da hab ich doch glatt nen schlechtes Gewissen. Ich hab mir keine Gedanken gemacht, was hinten auf der Ablage liegt, wichtig ist nur, dass das elektrische Hecksonnenrollo freigängig ist. Aber in der Regel liegt da ne Basi vom BVB. Gruss, der gasende Obertlehrer
Ich kenne Leute, die da ein komplettes Paralleluniversum aufgebaut haben…… Auf der von meinem Audi 100 ist auch noch nichts, das werde ich aber noch ändern. Die Klorolle steht ja im Taunus 🙂
Sandmann