Zum Abendbrot in die Schweiz
Ah – nein, das wäre gelogen! Heute Abend gibt es Schnitzel in Hildesheim, aber die Richtung stimmt schon mal. Weinbergbewohner Remo hat das Taxi und mich nebst reisefreudigem Töchterchen zum Käsefondue nach Hallau in die Nordschweiz eingeladen, allerdings erst am Samstag. Das ist morgen. Auf dem südgerichteten Weg über die A7 in die Schweiz kommt man fast nicht an Hildesheim vorbei, wo ein Freund von mir sein gastfreundliches, niedersächsisches Dasein fristet. Okay, unterbrechen wir die Meilenfresserei dort, um an diesem Freitag Abend noch ein bisschen Schlaf zu tanken und am Samstag einen nicht GANZ so weiten Weg zu haben. Schlaf. Hahaha. Nicht so weiter Weg. Hihihiiiii.
Genaugenommen schummel ich sogar doppelt. Ich fahr mit dem rappelnden Saugrohrmörderwagen gar nicht in Kiel los, sondern in Hamburg. 🙂 Mein Töchterchen sitzt schon vorfreudig im Regionalexpress von Kiel zum Hauptbahnhof, als ich am Hühnerposten noch mal kurz mein weltoffenes Grundverständnis für Kunst neu kalibriere. Morgen um diese Zeit sollten bestenfalls schon die Alpen hinter der Windschutzscheibe zu sehen sein, aber nach einer langen Arbeitswoche bin ich doch irgendwie ein bisschen dankbar ob der Tatsache, heute nicht mal zwei Stunden Strecke zu haben und bei netten Menschen den Abend zu verbringen. Hildesheim. Da war ich bis dato noch nie, warum auch? Umso besser, jemanden zu kennen, der da seit kurzem wohnt. Auf diese Weise kommt man in Deutschland mal ein bisschen rum und kennt die ganzen Städte nicht nur von ihren Autobahnausfahrten… Hallo Tochter, da bist du ja. Und ab geht’s aus der Bahn auf die Bahn.
Es gehört zu den Themen, die mich mit einer gewissen Dankbarkeit belegen: Als autobekloppter Blogger eine Tochter zu haben, die es cool findet, fast das ganze Wochenende mit Papa in einem alte lauten Auto zu verbringen, Musik zu hören und zu quatschen. Eine seltene Spezies. Das GANZ kleine Töchterchen wollte bei Mama in Hamburg bleiben und das GANZ große lernt fürs Abi. Okay. Die goldene, jeden Tag gefühlt 5cm wachsende Mitte und ich lenken das fast vollgetankte T-Modell am (Freitags) immer dichtgeparkten Elbtunnel vorbei über die Elbbrücken und drehen den Kompass nach Süden. Ich habe eine alte Liedzeile von Mike Krüger im Ohr: “Mein Beifahrer sich auf die Schenkel haut, hinter Hildesheim hat es sich wieder gestaut”. Nun ist es ein typisches Charakterisierungsmerkmal der A7, dass sie auf ihrer gesamten Länge von Norden nach Süden primär aus Baustellen, Fahrbahnverengungen, spontanen Verkehrsunfällen und Liegenbleibern auf der linken Spur besteht. Also alles das, was im Verkehrsfunk zu Hause im Küchenradio sagenhaft unterhaltsam klingt, bei konkreter Reiseabsicht vor Ort allerdings die freitägliche Gelassenheit auf die harte Probe stellt.
Gerade waren wir noch froh, dass der Stau wegen der Baustelle südlich von Hamburg (quer durch den Tunnel auf 20 Kilometern hoch bis Quickborn) unbefahren hinter uns liegt, da geht es mit den ungeplanten Bremsmanövern auch schon weiter. Mittelstreifen aufgerissen, mit vielen kleinen Sandhügeln garniert und träges Dahingleiten der südwärts gewandten auf nur noch zwei Spuren. Egal. Wir haben Zeit und überbrücken auch diese Baustelle mit lauter Musik. Hat Ihre 13jährige Tochter Sie auch schon mal gefragt, ob Sie „The Wall“ von Pink Floyd anmachen können? Nein? 😀 Irgendwo bei Soltau bekommt der geschätzte Fahrer eines alten Autos mit vielleicht nicht mehr ganz so taufrischen Stoßdämpfern dann noch eine Ahnung, warum auf dieser BAB derart umfangreiche Baumaßnahmen stattfinden. Spurrillen-Rodeo. Hotte hü! Eh‘ wir uns versehen taucht der Hildesheimer Dom am Horizont auf und wir dieseln durch die malerische Altstadt, während die Februarsonne pathetisch über einem Gewässerchen hinter Fachwerkhäusern versinkt. Ding Dong. Hallo Nick, mein Freund, da sind wir, zeig mir doch mal das Haus 🙂
Über genaue Details betreffend den Verlauf des Abends lege ich den Mantel des Schweigens, die meisten von Ihnen hier wissen sowieso schon mehr über mich als meine eigene Familie 😉 Nur so viel: Der Rundgang beschränkt sich selbstverständlich nicht ausschließlich auf den großen Weinkeller. Von der Dame des Hauses werden nach der Besichtigung der zahlreichen Räumlichkeiten frisch panierte Schnitzel zu Kartoffelsalat gereicht, und ich bekomme eine Ahnung, warum mein Töchterchen so groß geworden ist. Das scheint ihr wirklich zu schmecken… Später versuchen ein aktiver und ein ehemaliger Motorjournalist noch die uneinige Frage zu beantworten, ob man im Mercedes-Benz CLS gut und aufrecht sitzen kann oder nicht? Wo ich doch mit meinen 1,90 behaupte, seinerzeit in San Diego sehr komfortable Zeit auf dem Sternen-Fauteuil verbracht zu haben während der 5cm kleinere Nick sich den Kopf stieß? Wir lassen die Hausherrin einmal mit gutem Augenmaß die männlichen Oberkörper vergleichen. So, als säßen wir in einem CLS, das kann man sich ja dazudenken. Position einnehmen, bitte:
Hm. Kein Ergebnis. Vielleicht bin ich mehr der Liegesitz-Typ? Ist es wirklich eine Frage der Länge des Oberkörpers? Fährt Nick ausschließlich mit Tempomat? Ach komm, lass uns noch ein Schnitzel essen. Irgendwann, nach ein paar bewusstseinserweiternden Getränkepröbchen aus dem Weinkeller, wühle ich mich dann tatsächlich im Gästezimmer irgendeiner Etage dieses großen Hauses aus den 20ern in mein Kuschelkissen und finde anteilig den Schlaf, den ich angestrebt hatte. Nicht ganz so viel wie ursprünglich geplant, wenn man sich lange nicht gesehen hat und viel los ist in den jeweiligen Leben kann so ein Abend auch mal länger werden.
BRRRIIIIINGGGGG ♫ Und der Wecker bimmelt früh in Hildesheim, denn wir wollen am folgenden Nachmittag noch einen Spaziergang über die Schweizer Berge machen. Bei Helligkeit… Mein Töchterchen erzählt mir verschlafen von wirren Träumen, in denen die Sandhügel auf dem Mittelstreifen der Baustelle und ein paar langhaarige Monster vorkamen. Oh. Heute dann vielleicht kein Pink Floyd sondern etwas leichtere Musik.
634 Kilometer von Hildesheim bis Hallau, und mein altes überhebliches Navi sagt, das sei in knapp sechs Stunden zu schaffen. Ha. Hahaaahaaaa. Ich habe schon vor langer Zeit die TMC Verkehrsfunk-Antenne aus dem Fenster geworfen, weil die einberechneten Stauzeiten bei diesem Modell einem Algorithmus aus dem Mittelalter zu folgen scheinen. Also sechs Stunden netto, plus Stau und plus Pausen, denn bei aller Gelassenheit – die braucht ein alter Mann wie ich ja nun doch ab und an. Ich hoffe heimlich, dass das gespeicherte Kartenmaterial von 2007 wenigstens noch einigermaßen zielsicher ist und verabschiede mich bei unseren verschlafen lächelnden Gastgebern der ersten Etappe. Im Handgepäck sind ein paar liebe Geschenke für mein kleines Sandmädchen, diverse frisch belegte Reisebrötchen mit Wurst und Käse und der Vorsatz, bald mal wieder nach Hildesheim zu fahren. Schön ist es hier. Wer hätte das gedacht?
Mit einem Taxiiii nach Pariiiiis….. 🙄 Nein, nicht ganz. Aber fast, weit ist es von Hallau auch nicht mehr bis in die französische Hauptstadt. Aber dazu mehr in diesem Sommer, jetzt und hier sagen wir erstmal dieser südniedersächsischen 100.000-Einwohner-Universitäts-Metropole tschüss. Es ist tatsächlich erst 8:00 Uhr, müde Sonnenstrahlen kriechen wie Honig über den noch gefrorenen Boden und irgendwann heute Nachmittag werden mein Töchterchen und ich hoffentlich in der Schweiz sein. Wenn das Saugrohr hält. Und die Achsen. Und die Antriebswellen. Aber ich mache mir da keine Sorgen, der alte 290er Direkteinspritzer nagelt zufrieden und sonor auf dem Domvorplatz vor sich hin und weckt die ersten Frühlingsvögel. Ich glaube, es tut dem alten Herren mal ganz gut, über eine lange Strecke quasi freigeblasen zu werden. Ich hör sie schon rufen, die Kasseler Berge. Und ich nehme Sie auf dem Rücksitz mit nach Hallau. Wir lesen uns… 🙂
Sandmann
Hi Sandmann, war wieder ein sehr schöner Bericht und absolut lesenswert, aber ich hätte da mal ne frage: Was ist eigendlich mit deinem Ford Granada Coupé, wann hört man da mal wieder was von? (hast du es verkauft ?)
Danke und Gruß aus Böblingen
PS: Wo ist dein Audi V8 von dem kam auch schon ewig nichts mehr.
Ay Jonah,
ich glaube der Granada ist der einzige Wagen, der für immer und ewig bei mir bleiben wird. Er steht seit ein paar Jahren bei einem Bekannten in der Scheune und wartet auf mich… 🙂 Wenn ich mit Bronx den Carport neben meine Garage gebaut habe, dann kommt er heim in die Casa Sandmann. DAS… wird ein Fest 😀
Der V8 ist schon 2011 an Markus1975 gegangen, der ihn nach und nach wie Phoenix aus der Asche wieder auferstehen lässt. Ich besuche die beiden regelmäßig. Aber stimmt, jetzt wo du es sagst… der Abschiedsartikel liegt noch immer unvollendet in der Pipeline. Den bringe ich nochmal irgendwann…….
Der Wagen war zu teuer für meine Megameilen, ich brauche auf dem Weg Kiel-Hamburg was robustes und zuverlässiges. Der V8 hat diese Kriterien nach 520.000 Kilometern nicht mehr zu meiner vollsten Zufriedenheit erfüllt 😉 und mir fehlten zeit und Geld, den wieder heile zu machen. Markus freut sich 🙂
Sandmann
Hey Sandmann,
schön geschrieben :-). So einen Roadtrip habe ich noch nie vor mir gehabt. Nach England bin ich schon (als Beifahrer) gefahren. Da sind wir aber in einem grooßem MAN-Bus gefahren. Von Büsum nach Bournemouth. Hast du dein Taxi extra für die Tour gewaschen?
Mit dem „an-den-Kopf“ stoßen kenne ich beim Einsteigen, obwohl ich um einiges kleiner bin, als 1.90. Der V40 ist, obwohl man das von Volvo denken könnte, nicht besonders groß. Ich kann trotzdem prima drin sitzen. Und beim Yaris geht mir die Heckklappe nicht hoch genug hoch (?) – da stoß ich schon fast mit dem Kopf an.
Schöne Grüße vom Yaris fahrendem
Lars
Ay Lars,
Roadtrips sind die roten Blutkörperchen in meinem Autosaft 🙂 Ich liebe es, tagelang in einem Auto unterwegs zu sein, die sich verändernden Landschaften zu beobachten, Musik zu hören und am Ende zu sagen: Guck dir mal an, wo wir vorhin noch waren – und jetzt sind wir hier. Geil geil geil. Seit ich 1991 mit zwei Freundinnen und meinem Taunus Coupé von Plön an die Côte d’Azur gefahren bin ist das meine abenteuerlichste Form des Urlaubs. Like.
Kopf stoßen? Ich habe sogar in einen DeLorean reingepasst, alles eine Frage der Lehnenneigung 🙂 Und… was ist Yaris? Kann man das esen? 😉
Sandmann
Hey Sandmann,
ich mag es auch gerne und lange unterwegs zu sein. Wäre der Sprit nicht immer so teuer… Mein längster (alleine gefahrener) Roadtrip war nach Neumünster. Von unserem kleinen Örtchen bis dahin nicht gerade ein weiter Weg, wenn man ihn mit einem Trip zur Schweiz vergleicht. Ich mag es, gute Musik zu hören und langsam durch die Gegend zu gondeln – nicht verkehrsbehindermäßig, sondern „cruisen“. Neulich, als ich mit einem Freund und zwei Freundinnen im V40 nachts unterwegs waren, haben wir alle Fenster runtergedreht (war ziemlich kalt) und sind über die „Partymeile“ Heides mit „ganz laut Chuck Berry“ gefahren. Das war so herrlich affig :D. Die Leute haben zumindest geguckt. Manchmal habe ich auch Pink Floyd an. „Money – get away“ :D. Hast du denn eher ruhige Musik beim Fahren an?
Der Yaris war nur ein Leihwagen vom Lackierer. Ich habe meinen Volvo wieder :).
Schöne Grüße
Lars
Hey Sandmann,
groß ist Sie geworden, die „gefühlt jeden Tag 5 cm wachsende Mitte“ 😉
Ein feiner Trip, auf dessen helvetischen Höhepunkt ich mich freue!
Bronx
Ay Bronx,
ja, in der Tat. Erstaunlich, die Hübsche ist raketengleich in den Himmel geschossen. Sie geht schon bald für meine neue Freundin durch, sofern man mit den Dirty old Man unterstellen mag. Gniiihihi. Vielleicht bin ich für einen „Papa“ auch einfach ein bisschen zu verrückt, wer weiß?
To be continued…
Sandmann
Ja die Töchter wachsen in dem Alter enorm schnell. Das kann ich bestätigen… 🙂
@Jonah der Audi ist verkauft und der Granada steht im Schuppen…
Ay Snoopy,
wenn sie erst 1 Jahr sind ist das allerdings auch nicht viel langsamer……. 😉
Und ja, die Ortsangaben meiner Autos stimmen weitestgehend. Hab ich oben auch schon beantwortet, ich seh erst jetzt dass du das hier geschrieben hast.
Rock den Donnerstag!
Sandmann