Keine Blaubeeren mehr

Irgendwo hier ist irgendwas gewesen

Irgendwo hier ist irgendwas gewesen

… und ihr hattet gehofft, die melancholischen Geschichten kommen diesen Herbst nicht? Oder ich schreibe endlich mal wieder mehr über den Taunus? Oder gar fett technische Schrauberbeichten?? Ich muss euch enttäuschen. Erstmal. Es geht um Blaubeeren, diese kleinen, schmackhaften Dingelchen in Bodennähe. Mein viertelfinnisches Sandmädchen will sie einmal selbst pflücken. Und einen Ausflug machen. Und ein Baumhaus bauen. Und baden. Ist es verwerflich, wenn mir da meine liebe Oma einfällt, die in den 70ern im Wald rund um Uelzen am Kanal immer Blaubeeren gepflückt hat? „Heute geht’s inne Bickbeeren!“. Ob ich die Stellen noch finde? Komm, kleine Frau, es ist Wochenende, wir fahren da einfach mal hin. Und wir nehmen den Scorpio, das finden wieder ganz viele Leser angenehm doof 🙂 Ach ja – ich hab da mit 10 Jahren auch mal ein Baumhaus gebaut, ob das noch da ist?
Also… dies ist eine Geschichte über allerletzte Fragmenten der Vergangenheit. Eine verfallene Eisenbahnbrücke. Im zweiten Teil über ein altes Grab und einen See. Und über zwei Füße auf einem Kofferraumdeckel.

Einfach mal machen.

Jenny hat vermutlich heute Abend keine Zeit…

Gesunde Ernährung ist wichtig.

Gesunde Ernährung ist wichtig.

… sagt Jenny. Jenny ist meine kleine Schwester, und ihre kuschelige Wohnung in der Nähe von Bad Bodenteich wäre ein grandioser Schlafplatz für ihren Bruder und seine Tochter heute Abend gewesen. Nun ja – mein Timing ist gewohnt schlecht, die Gute kommt gerade erst von einem Kurzurlaub wieder und wird am Abend ganz froh sein, einmal keine Gäste zu haben. Jedenfalls keine, die gern viel Wein trinken und dann die halbe Nacht Gitarre spielen und singen. 😀 Okay. Wer braucht schon einen Schlafplatz? Und heute Abend ist noch so weit entfernt. Das viertelfinnische Sandmädchen und ich fahren trotzdem nach Niedersachsen. Das Wetter ist schön, die gemeinsame Abenteuerlust groß – und dann geht es am Ende des Tages eben wieder hoch nach Kiel. Na und? Der Tank ist randvoll, das leicht angetitschte Automatikgetriebe bietet mindestens drei vorantreibende Fahrstufen, das gerade erworbene Cola Eis ist kalt und süß und ich bin schon lange nicht mehr auf dem dünnen Seil meiner Vergangenheit balanciert. Da passt es prima, wenn die kleine Beifahrerin erstaunlich wissbegierig Papas Wurzeln erkunden möchte. Denn der Papa war ja auch mal klein.

Ich hab ihn zuerst gesehen!

Ich hab ihn zuerst gesehen!

Ungetriebenes Autofahren mit dem viertelfinnischen Sandmädchen gestaltet sich gewohnt unterhaltsam. Es gibt keinen grellen LED Monitor, der mit computeranimierter Hektik den Nachwuchs dahingehend zuballert, dass er den Mund hält und leise kapitulierend bis zum nächsten McDonald’s dumm vor sich hin starrt. Unser Monitor sind die Autoscheiben, sie sitzt bei mir vorn und guckt raus. Und geht mir weg mit schrillen Hörspielen, die jedem Erwachsenen die musikalischen Eier platzen lassen. Statt Benjamin Blümchen oder Pekip-Nackidei-Händeklatsch-Gedudel ♫ hören wir ausgewählte Prachtstücke von Rammstein, Element of Crime oder Depeche Mode. Wohlgemerkt sind das ihre Wünsche, nicht meine. Immerhin ist sie schon fünf!
Jenseits der Fenster vorbeiziehende Landmarken werden auf Kakao-Kühe und Kaffee-Kühe hinterfragt und auf wirklich gute Kletterbäume analysiert. Tiefschürfende Statements über das Leben und das Dasein wechseln sich ab mit beherzten Griffen in die Gummibärchenkiste, und beim „Landkreis Uelzen“ Schild hupe ich zwei Mal. „Papa, warum zwei Mal?“ Auch der Physiker in mir kann nicht jede Frage beantworten. Aber ich bin immerhin der erste von uns beiden, der den Uelzener Fernsehturm sieht. Verzeihung. Den FUNKturm. Weit ragt er über das flache Land, optisch gesäumt von den Kesseln der Uelzena Milchfabrik und dem Schornstein der Zuckerfabrik. „Da unten drunter beim LAUBturm wohnt doch Olaf, oder?“ Manchmal bin ich erschüttert, was dieses kleine Gehirn alles speichern kann. Und immer wenn sie provokant LAUBturm statt Fernsehturm oder sowas sagt (warum, das ist eine andere Geschichte) weiß sie, dass sie umgehend durchgekitzelt wird. Hart und unbarmherzig. Ja, ich kann das auch während der Fahrt, schließlich hat man bei einem Automatik immer die rechte Hand frei. Ihr könnt sie gern fragen.

Blaubeeren, irgendwo?

Blaubeeren, irgendwo?

Tief in Uelzens Kiefernwäldern

Wir überqueren den Elbe-Seitenkanal, gleiten singend an Ripdorf vorbei und biegen nach ein paar 100 Metern links ab in den Wald. Ab hier weiß ich nur noch, dass ich prinzipiell richtig bin. An einem Stapel dicker, gefällter Kiefern vorbei, die gefühlt hier schon seit 1977 liegen (natürlich tun sie das nicht) führt ein nur noch sporadisch asphaltierter Weg auf eine kleine Brücke über schon lange stillgelegte Bahngleise. Dahinter wird es sandig. Tiefer in den trockenen Wald führt eine Rechtskurve, und ich sehe noch den beigen Export-Käfer meines Opas diese Kurve entlang knattern. Warum bleibt genau so ein kurzes, banales Bild aus dem Alltag eines Sechsjährigen im Kopf hängen? Warum nicht der Deutsche Herbst, die Entführung und Ermordung Hanns Martin Schleyers durch die RAF? Oder der Tod Elvis Presleys? Nein, es ist mein Opa, der mit seinem Käfer um diese Kurve fährt. Während meine Oma mit Kopftuch und Schürze in den „Schwarzbeeren“ hockt und emsig pflückend Kirchenlieder schmettert. Später wird die Ernte dann von irgend jemandem angekauft, der die Wochenmärkte beliefert. Ja, mein Sandmädchen, das war irgendwo hier. Aber in diesem Jahr ist das alles nicht so üppig mit dem blauen Gefrücht…

Es gibt hier kaum noch Blaubeeren

Es gibt hier kaum noch Blaubeeren

Zuerst denke ich, dass die Blaubeerzeit vielleicht schon vorbei sein könnte? Aber nein. Wir finden ein paar verschrumpelte Exemplare, die mich wenigstens glauben lassen, dass es hier unter den Kiefern tatsächlich Bickbeeren oder Heidelbeeren (Vaccinium myrtillus) geben könnte. Oder mal gegeben hat. Schließlich ist sie ein Heidekrautgewächs (Ericaceae), und wir sind ja quasi mitten in der Heide. Der Lüneburger. Aber der viel zu heiße Sommer mit viel zu wenig Regen hat ganze, vernichtende Arbeit im Reich der Rundfrüchte geleistet. Nix ist. Nur ein paar kleine, verschrumpelte Dingelchen pendeln lustlos an einem Sträuchlein. Aber egal, hängen wir unsere gute Laune nicht an mühsam zu erntendes Mollgebeere oder Moosgebeere, allein die vielen Namen sind verwirrend. Es ist hier zwar drückend warm, aber irgendwie niedersächsisch schön. Die Luft riecht süßlich nach Kiefernharz, durstige Grillen zirpen ihr trockenes Lied und von Fern kommt ein Geländewagen mit einem Förster an Bord auf uns zugerumpelt. Ein freundlicher Blick des grünen Mannes, und er fährt weiter. Warum er bei einem alten schwarzen Auto mitten im Wald auf unbefestigten Sandwegen fern aller Straßen nicht zumindest mal nachfragt (wer was und warum) habe ich nicht verstanden.

Brücken in die Vergangenheit

Das viertelfinnische Sandmädchen und ich holpern im ausgewiesenen kölner Designflop der späten 90er Jahre den ausgeschlagenen Pfad wieder zurück. Irgendwo hier stand auch einmal eine alte Kutsche mitten im Wald, in der ich oft gespielt habe, wenn die anderen diese blauen Beeren ernteten. Abgestellt, vergessen und eingewachsen. Die habe ich aber schon einmal gesucht und nicht mehr wiedergefunden.

Transportrouten, rostig und verlassen.

Transportrouten, rostig und verlassen.

Fast schon reflexartig halte ich auf der alten Brücke an und will ein Foto machen. Der Blick na klar pathetisch in die Ferne gerichtet, und diesmal habe ich den dicken Arsch des Scorpio mittig im Bild platziert. Meine Tochter ist ganz gelassen, sie kennt das schon, dass Papa ab und an spontan aus dem Auto hüpft und Bilder macht 🙂 Es dürfte rund 10 Jahre her sein, dass ich genau hier mit meinem Audi V8 unterwegs war und diese Kutsche gesucht habe. Moment, da müsste es doch auch Fotos geben…?

Über den Gleisen

Ja. Gibt es 😀 Das Bild fällt mir jetzt erst wieder ein, deshalb habe ich nicht genau den selben Winkel und Ausschnitt „nachgestellt“. Damals gab es das viertelfinnische Sandmädchen noch gar nicht, nicht einmal das halbfinnische Fräulein Altona war auf dem Radar meines Begehrens. Ich lebte seit zwei Jahren ohne Ehefrau und trieb rastlos durch die Welt, auf der Suche nach einem Horizont, der so etwas wie eine Richtung weisen kann. Auf der Suche nach irgend etwas, was mich in die Lage versetzt, meine Familie einigermaßen zusammen zu halten. Keine guten Zeiten. Unter dieser Brücke verliefen damals wie heute alte, schon lange verrostete Eisenbahnschienen. Sollte das etwa…?

Verrostete Gleise

Mir fällt jetzt außer dem Audi V8 noch eine Fahrradtour gemeinsam mit meinem damaligen Freund Binz zu Silke ein, im Sommer 1987. Da sind wir diesen Gleisen bis zum Kanal gefolgt und haben Fotos auf einer alten Laststreckenbrücke gemacht. Sind das diese Gleise? Ha! Hey, Sandmädchen, hast du Lust auf ein Abenteuer? Wollen wir unser Auto hier stehen lassen und auf den Eisenbahnschienen bis zu einer riiiiesigen, alten, voll kaputten Brücke laufen? So wie im Film „Stand by me“ von Stephen King? Kennt sie nicht. Zu jung. Aber sie guckt, als ob ich gerade ihr Taschengeld verdoppelt hätte. Ich werte das als „ja!“.

Spuren der Vergangenheit

Spuren der Vergangenheit

*stapf* –schotterknirschen– „Papa?“ …. „Papaaa man darf doch gar nicht auf Eisenbahnschienen laufen oder…?“ Nein, natürlich darf man das nicht. Das ist viel zu gefährlich, da könnte ja ein Zug kommen und einen in viele kleine Teile filetieren, bevor man das Baumhaus aus der Vergangenheit gefunden hat. Was für eine Verschwendung. Hier aber nicht, kleines Mädchen, sei unbesorgt. Meine väterliche Versicherung wird unterstrichen von den großen Büschen und Bäumen, die seit Jahrzehnten zwischen, über und auf den Gleisen wachsen. Eine gewaltige Menge niedersächsische Trockenflora, keine Blaubeeren, viel Nadelholz. Hier hat sich schon seit einer Ewigkeit kein Zug mehr durchgeschleppt, warum weiß ich allerdings auch nicht. Kürzung? Stilllegung? Streckenverlegung? Nach ein paar kurzweiligen Hundertmetern kommt hinter weiteren Büschen tatsächlich … die alte, verrostete Eisenbahnbrücke zum Vorschein. Ayyyyy. Über meine Arme und meinen Nacken spannt sich eine erwähnenswerte Gänsehaut. Vor mehr als 30 Jahren sind Binz und ich hier rumgeturnt und haben heldenhafte Bilder mit einer Kamera gemacht, bei der man kein Display hatte und den Film später noch entwickeln lassen musste. Wir haben drei „36er“ über 14 Tage vollgeknipst, weitergedreht und zurückgespult. Eine dicke Fototasche voller jugendlichen Leichtsinns zweier Freunde, die zwei Wochen unter einem Kirschbaum im Garten der gemeinsamen heimlichen großen Liebe in Ripdorf zelteten. Das ist mehr als 30 Jahre her. Die Brücke streckt sich noch immer hoch und unverändert über den Kanal. Vielleicht bin ich ja doch unsterblich?

Vergänglich? Nichts ist vergänglich.

Vergänglich? Nichts ist vergänglich.

Das viertelfinnische Sandmädchen findet alles sagenhaft aufregend. Eine Brücke hoch über einem Kanal, eine Eisenbahnbrücke! Schienen, Stahl, ganz unten Wasser (sie kann noch nicht schwimmen…).

Die gleichen Schiffe

Und dann kommt da auch noch ein Lastkahn, einer dieser langen Dinger, die mit einem dicken Diesel gemütlich was-auch-immer von A nach B bringen. Diese Schiffe (sind das KüMos?) hatten meinen Tag geprägt, seit ich ungefähr so alt war wie meine kleine Tochter heute. Da war der Kanal gerade erst eröffnet worden. Wenn wir an den geteerten Böschungen spielten, waren ihre Wellen zerstörerische Tsunamis für die kleinen, gerade erst erbauten Welten. Wenn wir gerade unten im Tunnel waren und oben so ein Schiff drüber fuhr, dann donnerte die Welt wie bei einem Erdbeben. Unheimlich. Von meinem Zimmer, ja sogar aus meinem Hochbett konnte ich über das Feld auf den Kanal und die Schiffe gucken. Und in den endlos langen Wintern, wenn meinen Mama mich morgens in absoluter Dunkelheit weckte und die Jalousie sirrend hochzog, sah ich ihre Scheinwerfer sich erst unter der weit entfernten Brücke hindurch, am Bauern Kohrs vorbei und schließlich entlang der Böschung aus meinem Blickfeld heraus bewegen. Schulkinder leben in ihrer eigenen Welt. Kita Kinder allerdings auch. Es wird gewunken, gerufen und gehüpft. Wenn ihre Mama wüsste, wie hoch das hier ist und wie wenig Geländer nach unten zum Wasser absichert müsste ich mir einen Haufen Vorwürfe anhören. Sie weiß es aber nicht 😉

Winken. Immer lächeln und winken.

Winken. Immer lächeln und winken.

Okay, Blaubeeren haben wir quasi nicht gefunden. Dafür aber eine alte Eisenbahnbrücke. Es ist erst früher Nachmittag, ich überlege, ob wir es wirklich wagen sollten, mein altes Baumhaus zu suchen. Ich meine mich erinnern zu können, dass ein durchaus befahrbarer Weg dort hin führte, und es ist gar nicht weit von hier. Ich bin diesen Weg schon einmal mit meinem ersten Taunus Coupé gefahren. Neben mir saß Silke, immer wieder Silke, wir waren knapp erwachsen und hatten eine Menge Zeit. Nicht weit von jenem Baumhaus lag mitten im Wald eine riesige Grabstätte aus der Bronzezeit. Steinkreise, in denen ich als kleines Kind herumgeklettert bin. Mein viertelfinnisches Sandmädchen findet das verlockend. Steine. Klettern. Baumhaus. Sie nimmt glücklich meine Hand und zieht mich sanft in Richtung Auto. Weiter. Es muss immer weitergehen. Ihre Welt ist noch klar schwarz und weiß konturiert, sie lebt im Hier und Jetzt und platzt fast von Ungeduld. Beneidenswert. In der Mitte meines Lebens habe ich gelernt, dass es viele Graustufen gibt. Das Hier und Jetzt verschwindet jeden Tag ein bisschen schneller im Gestern, und wenn ich nicht auch nach Morgen und Übermorgen schaue verliere ich den Faden zum Heute. Erwachsen sein ist so verdammt kompliziert 🙁

Ich bin so froh, dass ich diesen kleinen viertelfinnischen Blitzableiter habe. Sie holt mich in den Moment zurück. Umsatzsteuervorauszahlung spätestens übermorgen begleichen? Miete, Unterhalt und Versicherungen überweisen? Nicht jetzt. Nicht heute. Ich setze sie gieksend und zappelnd auf meine Schultern, und wir stapfen lachend runter von der Brücke und rüber zum Scorpio. Wir wollen ein Baumhaus und ein Grab finden. Ach ja, und baden eigentlich auch noch. Vermutlich… in der nächsten Geschichte. Bleibt neugierig.

Sandmann

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Über Sandmann

Die Zeit ist zu knapp für langweilige Autos, Abende vor dem Fernseher oder schlechten Wein. Ich pendel zwischen Liebe, Leben und Autos und komme nicht zur Ruhe. Aber ich arbeite daran.

12 Antworten zu Keine Blaubeeren mehr

  1. November sagt:

    platt…November iss erst mal PLATT…das muss sich erst mal setzen…das muss ich erst mal verarbeiten…nur soviel: du hast Bilder in meinem Kopf gezeichnet…ich sah das alles vor mir, als ob ich dabei gewesen wäre…Sandmann Du bist ein Genie !

    • Sandmann sagt:

      Bester November,

      dann habe ich wohl irgendwas in deinem Sinne richtig gemacht 😉 Ich selbst war tatsächlich dabei, und es geht noch weiter. Ich finde gerade unser altes Baumhaus – und was davon übrig ist. Mal sehen wie schnell ich das fertig bekomme und wie oft die Kleine mir Zeit zum Schreiben lässt 😉

      Sandmann

  2. Peter Wurster sagt:

    Bester Jens, eine wundebare Geschichte! Und nur wer sich ab und zu der Melancholie hingibt bzw. von ihr in Besitz genommen wird, kann auch das Leben in all seiner Bandbreite genießen.
    Ich komme gerade aus der Garage gekrochen wo der Buick die letzten reanimierenden Handgriffe erfährt – und es mir in mein 51-jähriges Kreuz reinfährt.
    Leider sorgt der Junior gerade dafür, dass der Rohbau die richtigen Bleche für die Enkel seines W140 ausspuckt – sonst hätten wir die Türbeläge und Sitze reinwuchten können.
    Drum sitze ich hier bei einem Montepulciano d‘ Abruzo und göttlichem Käse.
    Auch etwas melancholisch, da ich heute so dachte, dass mein Vater dieses Bollergerät bestimmt auch sehr, sehr geil gefunden hätte.
    Und erst letzte Woche bin ich mit dem neuen Mieter meines Elternhauses ein paar Stationen meiner Kindheit durchgegangen auf dass er sie bald seiner zweijährigen Tochter zeige. All die Büsche, Bäume und…..
    Und mir fiel beim Anblick der Straße an unserem Haus ein wie mein Vater am Steuer des 67er Käfer 1500 ausrief: „Jetzt weiß ich wie wir unseren neuen Hund nennen: Daisy!“.
    Das ist jetzt 47 Jahre her.
    So genug und noch ein Schlückle auf Dich!
    Peter

    • Sandmann sagt:

      Lieber Peter,

      da wir uns ja persönlich kennen glaube ich, dass wir tatsächlich in einigen Ecken gleich ticken. Ich wäre vielleicht nicht so verrückt und würde so viel Geld in ein 7.5 Liter Schiff stecken – aber ich verstehe es 🙂 Und schiel gerade wieder nach Audi V8, aber nee nee nee.

      Schön, dass es dein Elternhaus noch in einer Form gibt, dass man Momente der Kindheit erklären und zeigen kann. Vielleicht besuche ich mein Elternhaus irgendwann noch ein letztes Mal. Wenn die jetzigen Bewohner da mitmachen. Ich frage mal. Und vielleicht will ich mal so einen Käfer haben, wie mein Opa einen hatte.
      Und vielleicht muss ich auch mal wieder einen Montepulciano trinken. Prost mein lieber. Auf das was kommt!

      Sandmann

  3. EnSch sagt:

    Moin Jens,
    wieder einmal mitreißend geschrieben!

    Das Schiff, das Ihr da gesehen habt, ist übrigens kein Kümo – die müssen seetauglich sein (für „küstennahe“ Gewässer wie die Nord- und Ostsee, die auch ruppig sein können) und haben deshalb mehr Tiefgang als im Elbe-Seitenkanal möglich, mehr Freibord (=mehr Abstand zwischen Deck und Wasser), andere Rumpfformen und einen höheren Decksaufbau. Wenn Ihr Kümos gucken wollt, macht mal einen Ausflug an den Nord-Ostsee-Kanal 😉

    Am Elbe-Seitenkanal gibt es ’nur‘ Binnenfrachtschiffe zu sehen, maximal sogenannte Großmotorgüterschiffe (GMS), und die Luise-L auf dem Foto ist ein kleineres sog. Europaschiff. Mit Details und Abmessungen will ich Dich jetzt nicht langweilen – falls Dich die Binnenschiffsklassen näher interessieren, findest Du sie ja z.B. in der Wikipedia…

    Viele Grüße von EnSch
    (der Schiffe viel interessanter findet als Autos – aber trotzdem immer wieder gerne Deinen Blog ansteuert, weil es da mehr um Geschichten als um Autos geht und weil Deine Granadas und Taunusse auch Erinnerungen an meine Kindheit sind…)

    • Sandmann sagt:

      Ay EnSch,

      ‚hach* ich mag das, wenn immer mal wieder ein Fachmann zu verschiedenen Themen auftaucht. Da lerne ich doch gern. Ein Europaschiff. Das höre ich tatsächlich zum ersten Mal. Oft sind da auch sehr hohe Tanker langgeschippert, die hatten dann immer sehr große Wellen…
      Bei mir ist es übrigens anders herum. Schiffe fand ich immer ein bisschen öde, weil die so langsam und wassergebunden sind. Autos oder auch Flugzeuge fand ich spannender 😉 Aber wenn wir uns über die Geschichten und die Melancholie gefunden haben – dann passt das doch! Prost aus Kiel

      Sandmann

      • EnSch sagt:

        Moin Sandmann,

        danke für die Blumen, aber „Fachmann“ ist zuviel der Ehre, in Schiffahrtsdingen bin ich auch nur ein interessierter Laie.

        Ja, Schiffe sind wassergebunden und langsam – aber auch groß 😉 Selbst ein Kümo von 80 Metern oder ein Containerfeeder von 130 Metern, wie sie tagtäglich die Schleusen in Holtenau passieren, sieht riesig aus, wenn man davor steht. Dabei sind das noch kleine Schiffe, verglichen mit den richtigen Containerriesen in Hamburg oder Bremerhaven…

        Und falls Du mal die Gelegenheit haben solltest, auf einem von diesen „kleinen“ mitzufahren, wirst Du merken: auf dem 4. oder 5. Deck mit dem Wind in den Haaren fühlen sich auch 12 Knoten – weniger als Mofageschwindigkeit – schnell an 🙂 Dazu die stunden- oder tagelang gleichmäßig wummernde Maschine und die See bis zum Horizont, das kann so beruhigend sein.

        Zu Deinem Blog habe ich übrigens über einen Link zum Telefonzellen-Friedhof gefunden… und plötzlich war ich „hängengeblieben“. Ich hab’s nicht bereut 😉

        Gruß an Kiel
        EnSch

        • Sandmann sagt:

          Ay von Kiel nach Kiel,

          jaaaa die „Großen“ habe ich vor ein paar Monaten wieder einmal bei einer Hafenrundfahrt bewundert. Sehr beeindruckend. Allerdings gucke ich selbst zwar gern auf den Horizont, nach einer Stunde ist dann aber auch mal gut. Zu viel See um mich rum macht mich nervös. Da ist dann ZU viel Ruhe drin, und vor allem geht es unter mir noch weiiiiit runter. Das mag ich nicht so 😉

          Die Telefonzellen… ach jeh ist das lange her. Sie sind inzwischen längst alle weg. Ich muss mal meine alten Artikel überarbeiten 😉 Aber fein, dass Google mich ab und an mal berücksichtigt.

          Wir lesen uns
          Sandmann

  4. November sagt:

    sooooo…ich bin ja noch eine Geschichte schuldig….es wird Herbst…der Winter naht, es wird viel zu zeitig dunkel und es wird kalt. Die Sonne in diesem Sommer ging mir auf den Keks, aber ich bin dann einfach 14.,,,15 Uhr ins Bett gegangen hab gedöst…gepennt, wie auch immer und dann 18.00 Uhr wieder raus in den Garten: Wasser schleppen, gießen oder noch mal Gras wenden, damit Vaters Pferde auch von mir ein Bündel Heu bekommen…. Ich will sagen, mit der Hitze komme ich klar, was mich aber nervt und wo es kein Ausweichen gibt, ist die Kälte….SCHULD ist wohl mein Vater, oder eher sein Auto oder doch beide ? Vater studierte in Pillnitz, und nach nem Jahr studieren meinte er, wir könnten da ja mit hin…hin in dieses Pillnitz….ein Kinderheim zur Betreuung gab es, Schule gab es, also mit hin in dieses Pillnitz. Im Sommer waren die….. :Ha ! nun kommts……..guck ich gerade wie viele Kilometer das bis Pillnitz sind, und WO ? ist das Problem?…genau, die A 38 z.b. gab es da noch gar nicht, die wurde ja erst 20 Jahre später gebaut…gut, nehme ich mal 250 km…..alsoooo: im Sommer waren die 250 km nicht so schlimm: ich war ja Pferdemarkt erprobt, da sind wir an einem Tag ja auch 500 km gefahren…..im Sommer…..doch dann kam der Winter, es war wohl der von 1978 /79, ja der, der die DDR lahm legte und jeder ältere DDR-Bürger so seine Horror-Geschichte parat hat (meine vielleicht mal später 🙂 )…jedenfalls fuhren wir mit Vaters froschgrünen F9 gen Dresden, es war arschkalt in dem Auto, die Zusatzheizung lief zwar, aber warm, Neee warm würde es nicht. Auch die Decke in die uns Mutter vorsorglich gewickelt hatte, nützte nicht viel…es war arschkalt, ich fror und zu allem Übel fing es auch noch an zu schneien…Schnee, Vater fuhr noch langsamer , nich der das F9 sonst gerannt wäre (90kmh Spitze sagt Google), aber mir kamen die 90 gegenüber dem was Vater da jetzt fuhr sehr sehr lahm vor. Der F9 rollte so dahin, der Schnee wurde mehr und Vater schimpfte vor sich hin, auf den blöden Schnee und auf die Heinis die die Straßen nicht räumten: „Pennen die denn alle? Das darf doch nicht wahr sein“…war es aber…und es wurde nicht besser, mir nur kälter, aber ging DAS überhaupt?…ich fror, ich verwünschte den Winter, den F9 und den Vater der ja unbedingt studieren musste…STUDIEREN : PAH! wir waren seid Menschengedenken eine Bauernfamilie, Vater hatte Melker gelernt, u.a….Vater hat viel gelernt in seinem Leben…auch boxen: und so boxte er wohl auch durch, das er nicht seinem Vater half auf dem Feld, sondern studieren ging.
    …irgendwann, kamen wir an, was sich hier so schön reimt, ist das Traumata, was ich seid dem habe: KÄLTE geht gar nicht!…KÄLTE ist das schlimmste für mich. Nicht mal Hunger ist schlimmer.KÄLTE, Winter, da wird es mir Angst und Bange, und Schuld ist nur , zumindest habe ich das seid einigen Jahren so in meinem Befinden abgelegt, der froschgrüne F9, denn WAS ? konnte Vater für seinen Drang nach Wissen, oder den Winter?….Neee Vater war raus, der F9 war SCHULD.
    ein Auto, meine Geschichte dazu, und DANKE Sandmann das Du uns immer entführst in Deine Welt, auf das wir wieder mal in unsere vergangene Welt schauen, oder Sterne, ja Sterne schauen ist auch schön…..

    November.

    • Sandmann sagt:

      Bester November,

      ich kenne dich noch nicht persönlich, aber wir teilen jetzt schon eine Aversion: KÄLTE. Die hasse ich ebenfalls. Ich habe kein Trauma wie du davongetragen, sie tut mir einfach weh. Wenn im Sommer alle jammern und schwitzen und noch mehr jammern bin ich immer relativ gelassen. Ja klar, Hitze ist irgendwann anstrengend, sie ist lästig und sie bremst einen aus. Aber sie ist erträglich.
      Kälte wiederum ist schmerzhaft. Wenn sie an dir hochkriecht tut sie weh. Wärme verursacht (in den Dimensionen des deutschen Wetters) keine Schmerzen. Im Winter, wenn ich nach ein paar Tagen Hamburg wieder ins Häuschen nach Kiel komme, baller ich erst einmal den Kaminofen bis zur Rotglut hoch. Auch in Dänemark, wenn ich eine Schreib-Auszeit mache, überheize ich das Ferienhaus grundsätzlich heftig. Ich mag Wärme, ich mag sie vor allem wenn es draußen ungemütlich und kalt ist.

      Hast du dich einmal mit Joseph Beuys beschäftigt? Ich hatte nie einen Zugang zu seiner Kunst, ich fand damals alles pauschal scheiße, womit ich nichts anfangen konnte. Sehr pubertär. Meine Dozentin (ich habe einst Kunst studiert) war eine Schülerin von Beuys. Ich kam also nicht umhin, hier und da einmal genauer hinzuschauen. Und Wunder oh Wunder…
      Es gibt dieses Stück Butter, von dem nur noch Bilder existieren. Die „Fettecke“. Ich dachte immer: „Ja geil, ich schmeiß auch ein Stück Butter auf einen Teller und werde berühmt“. Allerdings schmiss ich nicht und wurde auch nicht berühmt. Ich fand die Fettecke doof. Und dann dieser Stuhl, über und über mit Filz umwickelt. Verschnürt. Weltberühmt. Was fand ich den überflüssig, was habe ich mich aufgeregt.
      Hintergrund.
      Joseph Beuys war im Zweiten Weltkrieg Schütze in einem Kampfflugzeug und wurde 1944 über der Krim abgeschossen. Er lag im tiefen Schnee, schwer verletzt und todgeweiht im Feindesland. Ein Nomadenvolk fand ihn, sie zogen ihn nach 24 Stunden aus dem Wrack. Die Männer und Frauen rieben ihn mit Fett ein und umwickelten ihn mit Filz, auf dass die Wärme wieder in seinen Körper einziehen möge. Sie haben ihm damit das Leben gerettet.
      Beuys gilt heute als einer der bedeutendsten deutschen Künstler des 20. Jahrhunderts, und er hat gewaltige Blöcke von Fett aufgetürmt und oft die Wände seiner Ausstellungen mit schwerem Filz verhängt. Wenn man weiß warum, dann ist man fasziniert. Es sind die Materialien, die ihm das Leben gerettet hatten. Ich bin der festen Überzeugung, der Joseph fand Kälte auch scheiße. In diesem Sinne, lieber November

      Sandmann

  5. Oliver Sprenger de Montes sagt:

    Nee, wat is dat schön.

    Aber wieviel wir da doch gemeinsam haben. Ich bin in Bochum-Oberdahlhausen mitten im Naturschutzgebiet Hörsterholz aufgewachsen, einem echten Stück Urwald, durch den genau zwei uralte Strassen führen. Mein Elternhaus liegt mitten im undurchdringlichen Wald auf einem kleinen Hügel.

    Und ja, nachdem ich sicher 18 Jahre nicht mehr dort war, bin ich 2000 mit dem Audi V8 und dann noch einmal 2015 mit dem AMG da hingefahren. Und durchgefahren. Und es war noch alles wie früher, nur halt perspektivisch ein wenig kleiner 🙂

    Tatsächlich noch erkennbar war der von mir als Kind eigenhändig planierte und geschotterte Parkplatz für mein Kettcar an einem Spazierweg im dichten Wald.

    Meine Höhlen und Baumhäuser habe ich jedoch nicht mehr wiederfinden können. Die hat wohl der Zahn der Zeit dahingerafft.

    • Sandmann sagt:

      Bester Oli,

      diese Geschichte mit dem Haus auf dem Hügel und dem Parkplatz berührt mich irgendwie sehr… Spuren der Vergangenheit sind einerseits schön, weil sie einem etwas zeigen, was immer noch da ist. Andererseits halten sie uns auch die Vergänglichkeit von allem vor Augen, und das fühlt sich manchmal schlimm an.

      Ab und an denke ich, ich möchte mein Elternhaus wieder zurück kaufen und es als Zeitkapsel wieder so gestalten, wie es mal war. Und sei es nur, um da mit euch allen schräge Weinabende zu machen. Lotto hilft ja manchen… 😉

      Grüße aus dem grauen Norden
      Sandmann

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