Das dunkelblaue Coupé gleitet über das Kopfsteinpflaster, der Vierzylinder knurrt bajuwarisch-sonor im Standgas – was für eine Form. Und was für ein ungewöhnlicher Auftritt: Ein Gesicht wie ein traurig guckender Hai. Die Augen einer melancholischen Sphinx, mit einer schmalen, verchromten Niere, die gleichzeitig Nase und Zähne zu sein scheint. Keine B-Säule, ein klassisch flach abfallendes Dach und ein Heck wie direkt aus einer italienischen Sportwagenschmiede: Der BMW 2000 CS scheint von einem anderen Planeten. So wunderschön und so schnell auf der linken Spur der Autobahnen der 60er Jahre. Wer denkt sich bloß so ein Auto aus?
Wer sich sowas ausdenkt ist schnell geklärt.
Rettung im letzten Moment
Ganz unten bei der BMW AG war die Isetta, ganz oben der Barockengel 3200 S. Dazwischen war – nichts. In den 50er Jahren geriet der Konzern in eine so große finanzielle Schieflage, dass der Sanierungsplan von Management und Großaktionären vorsah, den Betrieb an Daimler-Benz abzugeben. Ein aus heutiger Sicht interessantes Was-wäre-wenn-Szenario, zu dem es aber nie kam. Ein wirklich große Menge Geld des Industriellen Herbert Quandt verhinderte unter anderem die Fusion. Die Münchener gingen sodann gut finanziert mit neuem Mut und frischen Ideen an die Arbeit, eine Mittelklasse zu etablieren, wie sie so nach dem Krieg noch nicht existent war. Nicht von ungefähr nannte man den Phoenix aus der Asche seinerzeit „Die neue Klasse“. Man startete gefühlt von vorn.
Der legendäre BMW 1500 läutete mit seinen größeren Brüdern ab 1962 eine völlig neue Ära im Konzern ein. Er verkaufte sich besser, als von den Münchenern erwartet. Die Modellbezeichnungen 115, 116 und 118 waren in den Zehnerstellen von den Typenschildern und letztendlich dem Hubraum der Vierzylinder abgeleitet, mit dem „120“ respektive dem BMW 2000 erschuf man endgültig die angestrebte, gut motorisierte Mittelklasse.
Der 2000 TI (Tourismo Internazionale) war die sportlichere Variante mit zwei Solex-Flachstrom-Doppelvergasern und 120 PS. Gleich motorisiert, aber mit mehr Plüsch an Bord kam der 2000 tilux daher, ein bisschen später konnten die Limousinenpiloten endgültig mit dem tii („injection“) und der mechanischen Kugelfischer-Benzineinspritzung auf 130 Pferden abheben.
Die schönere Art zu reisen
Das BMW 2000 Coupé debütierte 1965 als „komfortabler Reisewagen mit sportlichem Herz für große Fahrt“, was wie eine liebenswerte Verdeutschung von „Gran Turismo“ klingt. Der CS hatte die bekannten 120 PS unter der langen Haube, etwas gelassener ging es im CA mit 100 PS und Dreigang-Automatikgetriebe zu. Bis 1970 verließen respektable 13.700 „Neue-Klasse-Coupés“ das Werk der Wilhelm Karmann GmbH in Osnabrück, wo BMW die Karosserie und später auch ein paar Komplettfahrzeuge fertigen ließen.
Designer Wilhelm Hofmeister durfte sein ganzes Herzblut in das Finish des flachen Sportlers kippen und erschuf ein (Hof)Meisterwerk, das schon damals den nach ihm benannten Knick trug. Dieser doppelt gegen die Fahrtrichtung geknickte Übergang der C-Säule (und beim Touring der hinteren D-Säule) in den Wagenkörper sollte ein durchgehendes Stilelement eines jeden BMW werden – nicht mal der spätere BMW-Chefstylist Chris Bangle hat sich getraut, den wegzuknicken. Der „Hofmeister-Knick“ ist heute noch da, achtet mal drauf.
Sportlich voran im Bayern
Otto Voss lädt ein zur Spritztour, Kumpel Heiko fährt. Nicht zur Einspritztour – im CS saugen noch die beiden Flachstrom-Gaswerke von Solex. Aber das interessiert in dem Moment des Losfahrens nur am Rand. Der Vierzylinder-Motor kann nicht nur was, er ist auch ein optisches Kunstwerk. Sein leicht gekippter, längs eingebauter Alukopf trägt die saugende Vergaserbatterie seitlich mittig angeflanscht. Mit dem großen runden Luftfilter gegenüber wirkt das kompakte Triebwerk fast wie ein V8. Sportlich, sportlich – das konnten sie ja schon immer, die Bayern.
Tatsächlich bescheinigten ihm die zeitgenössischen Tester damals gut zehn Sekunden für den Sprint auf 100 km/h. Das waren noch nicht ganz die 7,5 Sekunden eines Porsche 911 S, aber hey – probiert mal, mit dem zu verreisen. Der hat im Kofferraum schon einen Motor rumliegen. Und verreisen ist mit einem Hofmeister-Coupé überhaupt kein Problem. Die große Klappe im Heck gibt Raum für alles Mögliche, sperrige Gegenstände gehen zur Not auf den Rücksitz. Bequeme Einzelsitze vorn, eine geräumige Rücksitzbank hinten und in unserem Fall alles in Rot. Selbst Ford traute sich das erst so richtig in den 70ern.
Schlichte, glatte Holzapplikationen dominieren das Armaturenbrett und sehen ein bisschen wie vorweihnachtliche Laubsägearbeiten aus. Trotz ihrer fehlenden Filigranität unterscheiden sie sich von Muttis Eichenschrankwand, denn in ihnen stecken sportliche vier Rundinstrumente. Ein paar Lüftungsdüsen, ein kurzer Schalthebel in der Mittelkonsole und ein Radio mit Drucktasten – mehr brauchte es nicht, um auch lange Strecken von Kiel nach Genf oder Neapel entspannt zu überbrücken.
Definitiv das schickere Auto
Man möchte auch heute noch am liebsten runter nach Genf brausen, vielleicht eine Kunstausstellung besuchen. Oder lieber nach Zürich in eine Cocktailbar? Egal, Hauptsache weit, weit weg, denn der Weg ist das Ziel. Straff und elegant geht der Wagen in die Kurven und erfordert beide zupackenden Hände am dünnen Lenkrad. Wenn keine Kurven da sind, läuft er schnurgerade. Und nach einer runden Stunde haben wir genügend Passanten rund um das nordrhein-westfälische Darfeld die Köpfe verdreht. Die „neue Klasse“ wurde schnell zum Klassenbesten. Das Coupé rollt wieder zurück in den Showroom.
Es kommt aus einer Zeit, wo Design die Menschen noch markenunabhängig begeistert hat. Damals fand man den Nachbarn nicht total doof, weil er einen Audi hatte und man selbst einen Ford. Damals versuchte man nur, ein etwas schickeres oder cooleres Auto als der Nachbar zu haben. Trotzdem mochte man die Kiste hinterm Zaun meist. Und wenn es so ein Coupé gewesen ist, ging man mal rüber und hatte gleich ein Thema zum Feierabendbier. Heute ist das anders. Aber solange es überlebende Fahrzeuge aus den goldenen Jahrzehnten gibt, kann ja jeder fahren, was er will.
Oder?
Habt ihr auch einen Oldie, den ihr hegt und pflegt? Dann schaut euch doch mal die Spezialtarife von Hiscox an. Und wer überlegt, sich einen lang ersehnten Klassiker anzuschaffen, kann natürlich auch mal schauen, was der ihn denn kosten würde. Denn den Versicherungsbeitrag für eine Hiscox Oldtimerversicherung kann man vorher unkompliziert erfragen. Wir sehen uns auf der Landstraße!
Sandmann
Technik
BMW 2000 CS
Baujahr: 1967
Motor: Vierzylinder
Hubraum: 1.990 ccm
Leistung: 88 kW (120 PS) bei 5500/min
Max. Drehmoment: 167 Nm bei 3600/min
Getriebe: Viergang-Handschalter
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 4530/1675/1360 mm
Leergewicht: 1180 Kilo
Beschleunigung 0-100 km/h: 10,5 Sek.
Top-Speed: 185 km/h
Wert: ca. 25.000 Euro
Salut,
3 – Gang Handschalter? Bist du dir da sicher? M. E. hatte das „Schlitzaugen-Coupe“ eine 3-Gang Automatik aber als handgeschaltete Version 4 Gänge.
Schöner Beitrag über ein schönes, extrem seltenes Auto. Den überarbeiteten Nachfolger mit Doppelscheinwerfern finde ich dennoch etwas stimmiger.
Sagt dir ‚David Obendorfer‘ etwas?
https://www.spiegel.de/auto/aktuell/retro-design-david-obendorfer-kreiert-moderne-auto-klassiker-a-964236.html
Schau mal rein. Wenn das die Designsprache von BMW geblieben wäre, mir hätte es wesentlich besser gefallen als das heutige verkloppste Design. Alles was BMW einmal auszeichnete ging so ziemlich den Bach runter. Meine Meinung, Geschmäcker dürfen ja verschieden sein. Zum Glück. 😀
Ich bin auf deine Meinung gespannt. 😉
Gegrüßt!
Ay Bronx,
na du bist aber flott 🙂 Ich hab den Artikel noch gar nicht verbreitet und du kommentierst schon 😉 Und ja natürlich hat der 2000 CS keine DREIgang Handschaltung sondern eine VIERGANG Handschaltung. Da hatte ich wohl einen Schluckauf und hab’s gleich verbessert. Danke für den Hinweis.
Den Obendorfer kannte ich noch nicht, aber ich gehe jeden Gedanken von ihm mit. Vor allem den Innenraum in der Fotostrecke finde ich spektakulär gut.
Und ja, neuere Autos sind fett, überfrachtet und mit viel mehr Komfort- und Unterhaltungselektronik ausgestattet als es irgend jemand wirklich braucht. Es ist verboten, mit dem Handy am Ohr und dem Blick nach vorn auf die Straße zu fahren. Es ist aber erlaubt, bei 180 zur Mittelkonsole gewandt über das Zentraldisplay so wichtige Sachen wie die Telemetrie der Vorderachse, den Zehntelgrad genauen Heizwert der Muschitoaster oder die loungige Ambient Beleuchtung in RGB Farbpalette einzustellen.
Und bei BMW bin ich raus, seit Chris Bangle dem eigentlich schönen 7er Coupé diesen absurden Buckel an das Heck geklebt hat. Wie viel Koks kann ein Mann schnupfen, um sowas zu machen? Oder guck die aktuelle Asiaten an. Rücklichter wie plattgefahrene Insekten, Ford baut Cockpits wie Aliengesichter und Audi schafft es irgendwann, dass der Singleframe Grill größer ist als die eigentliche Front.
Die spinnen doch alle. Und die anderen kaufen das auch noch 😀
Irgendwann hole ich mir einen einfachen Audi TT. Ohne Killefitt. Das ist ein Auto mit Gesicht.
Sandmann
Sandmann,
d’accord in allen Punkten, Danke. Der erste TT ist (neben dem Ur-Twingo) einer meiner Favoriten für künftige Klassiker.
Was BMW betrifft, Bangles Formensprache habe ich nie verstanden. Selbst die AB ätzte damals über den klobigen Heckdeckel: „Hundezüchter bezahlen für sowas viel Geld.“
Umso erstaunlicher ist: der erfolgreiche E 36 ist ebenfalls sein Entwurf.
Adrian van Hooydonk trat ja dann die Nachfolge an und „entschärfte“ den Bangle-Entwurf (welcher in Asien durchaus Anklang fand).
Das dir Obendorfers Entwürfe gefallen freut mich obwohl ichs mir fast dachte. Da passt alles zusammen. Vielleicht liest das ja auch mal einer am Petuel-Ring in München. 😉
bronx
Ay Bronx,
na wenn du und ich die Bilder kennen, dann wird man in München auch davon gelesen haben. Vermutlich passt sowas aktuell nicht ins Marketingkonzept. Ich weiß es nicht. Ich bin gespannt wohin die Reise im Automobilbau und -design noch geht, gerade jetzt, wo der Verbrennungsmotor irgendwie abgelöst werden soll. Niemand weiß so recht wovon, aber das lernen wir schon noch.
Solange ich noch Benzin kaufen kann werde ich meine alten Karren fahren. Vielleicht erlebe ich ja noch, dass es wieder so wird wie vor 100 Jahren. Dass du Benzin in der Apotheke kaufst. Herrlich.
Sandmann