Hub-Schiebedächer waren für mich bisher einfach nur… da. Ein feines Extra, wenn es schon drin ist. Ein Extra, das ich aber auch nicht vermisse, wenn es eben nicht drin ist. Unwichtig. Oft mit Gaffer abgeklebt weil undicht. Spannend werden Schiebedächer, wenn sie nicht mehr schieben. In Helmuts Fall macht der Motor im Kofferraum nur **klack** und das war’s. Beschäftigt man sich in lichten Momenten weiter mit der Materie, lernt man was über brechende Hubwinkel aus Zinkguss, fettfreie Seilzüge und festgedrehte Elektromotoren. Und mal lernt, dass man die Reparatur beim ersten Mal lieber nicht allein angehen sollte. Also lade ich meinen Lieblings-Automotive Juristen LL.M. Lars, den Watt’n Schrauber, in die Welt von Doctor iuris Sandmann ein – und wir hubwinkeln uns da mal durch. Es soll bald regnen.
Ich hole für die Akten ein bisschen weiter aus.
Euer Ehren, falls sie später zugeschaltet haben: Helmut ist mein Mercedes 260 SE von 1990, benannt nach dem birnenförmigen Bundeskanzler dieser Zeit. Der rauchsilberne Magerausstatter hat alles, was ein Daily Driver haben soll. Nach 10 Jahren trockener Standzeit nutze ich jede freie Stunde im Gerichtshof, um ihm kleine Blessürchen auszutreiben. Der Teppich und die Sitze sind schon raus, weil vorn irgendwo Wasser reinkommt. Ich habe auch schon eine Ahnung, wo. Neue Reifen hat der Gute schon spendiert bekommen, und die komplette Zündung nebst Sicherungskasten ist auch frisch (was bisher geschah 😀 – peviously on Sandmanns Welt). Jetzt kommt das nicht siebende Schiebedach vor den Richter, und wenn wir schnell sind (muuhahaha) verhaften wir vielleicht noch die Wasserpumpe.
Der junge Advokat LL.M. Lars ist ein Frühaufsteher. Also habe ich am Samstag Abend diensteifrig alles vorbereitet, was ich vorbereiten konnte. Paragraphen ausgedruckt. Schiebedachhimmel nach unten raus, Schiebedach nach oben raus, Auto abgedeckt und eine große Plane über meiner Garagenabfahrt gespannt. In der trockenen Garage unterm Haus wohnt bekanntermaßen mein Granada, und zum ersten Mal seit Wochen ist in Kiel Regen angekündigt. Yay. Regen ist ein bisschen doof, wenn man am offenen Dach verhandelt. Auch wenn der Teppich und die Sitze schon raus sind, das muss ja trotzdem nicht sein.
Die geklaute Stunde
Pünktlich um 8:30 berollt der Mann in seinem Volvo den Gerichtshof. In der Nacht sind die Uhren vorgedreht worden, also ist es erst… oder schon… äh… argh (ignoriert meine Augenringe). Ich füttere sein rechtliebendes Herz mit frisch gebackenen Brötchen, Käse und Wurst. Er droht im Gegenzug mit selbstgebackenen Keksen nachher. Geil. Wann hat mir zuletzt jemand selbstgebackene Kekse mitgebracht? Habe ich erwähnt, dass ich Lars echt gern mag? So gestärkt rufen wir das Corpus Delicti in den Zeugenstand. Es ist ganz hilfreich, dass er diese Verhandlung bei seiner „Hein“ heißenden 124er E-Klasse schon einmal durchgezogen (und gewonnen) hat. Und eine farbig ausgedruckte Anleitung liegt auch auf dem noch trockenen Dach. Was kann da schon passieren?
Das ist der Zeitpunkt, um euch mal zu erklären, was ein Hubwinkel ist. Beweisaufnahme.
- Ein filigranes Teil aus schwarz lackiertem Zinkguss mit vielen Gelenken und Schrauben.
- Davon gibt es einen linken und einen rechten.
- Beide sind oben mit dem Schiebedach verschraubt und laufen unten gut gefettet auf Gleitschienen.
- Hinten hängen sie an einem Querblech, was mittig mit einer Drahtschnecke verbunden ist.
- Die geht durch eine Metallhülse in den Kofferraum und verschwindet dort in einem Elektromotor.
Das Prinzip: Wenn ich den Schalter im Dachhimmel drücke, zieht ein Zahnrad vom Motor im Kofferraum diese Drahtschnecke durch die Hülse vor und zurück. Entsprechend folgt das Schiebedach rückwärts abtauchend unter das Dach nach hinten. Oder, mechanisch durch diese Winkelei ausgelöst, wieder nach vorn. Und an einem bestimmten Punkt kippt das Dach angewinkelt nach oben. Deshalb „Hubwinkel“.
Unterlassene Hilfeleistung
Da sich bei alternden Autos niemand mehr die Mühe macht, mal mit vier Schrauben das Schiebedach rauszunehmen und die Mechanik zu fetten – wird alles immer schwergängiger. Irgendwann kommt der Moment, an dem entweder das Seil feststeckt oder der Motor kapituliert oder mindestens einer der Hubwinkel bricht. Zinkguss ist porös, wenn der Widerstand des kräftigen Motors zu sehr an ungefetteten Bauteilen zerrt macht es KNACK. Und dann hebt und schiebt nichts mehr. Bei Helmut hat es auf einer Seite irgendwann mal KNACK gemacht. Einzelteile liegen rum, der Winkel ist an seiner dünnsten Stelle gebrochen. Außerdem dreht der Motor schwer bis gar nicht. Ach ja, und das Seil bewegt sich auch nicht. Hurra.
Das klingt jetzt alles nach einer süßen kleinen Schrauberei, die wegen Fettgeiz oder Faulheit alle 30 Jahre gemacht werden muss. Mit dem finanziellen Haken, dass ein Hubwinkel bei Mercedes-Benz rund 650 Euro kostet. Einer! Netto. 1300 Euro für beide, ich hatte schon komplette Autos die weniger gekostet haben. Auch mit Stern 😉 Schlussfolgernd liegen hier jetzt billige Nachbauten, das Paar für 100€, auch aus Zink und mit Gleitschienen. Unabhängige Zeugen behaupten, die brechen nach drei Mal heben und senken einfach so durch. Wir werden sehen.
Doctor iuris Sandmann widmet sich erst einmal dem Motor im Kofferraum, der zwar SIIRRRRR macht, aber an nix dreht. Nix bewegt. Nix zieht oder schiebt oder gar klappt. Den auszubauen ist eine (kleine) Hürde, erstmal musst die Automatikantenne weg, dann haben wir die beiden Führungshüllen ausgeklippst (wenn man weiß wie das geht ist es ganz einfach, wenn man das nicht weiß ist es nicht einfach) und das Ding ans Tageslicht befördert!
Da fehlt Fett
Hier wird nach den zerbröselten Hubwinkeln das zweite Problem klar: Kaum noch Fett im Getriebe und eine lockere Mutter auf der Achse. Wenn das meine Mutter wüsste. Aber hey – immerhin kann man das kleine Getriebe aufschrauben! Ich schmatze alles dick mit dem guten Wälz- und Gleitlagerfett aus Bundeswehrbeständen der frühen 90er ein. Das sollte nur wieder 30 Jahre fehlerfrei funktionieren. Also im Zweifel für den Angeklagten. Auch die Kunststoffmutter, mit der man manuell die Welle drehen und das Dach schieben kann habe ich als Neuteil bekommen. Die hat sich leider auch beim Versuch, mit sanfter Gewalt das Dach zu kippen, zerlegt. Fragt nicht nach dem Preis 🙁
Gemeinsam schrauben, gemeinsam denken, gemeinsam Fehler machen. Ich bin tiefenentspannt, weil wir heute nicht fertig werden müssen. Streicht das „müssen“. Helmut hat Zeit, der Taunus läuft und kommende Woche wird vielleicht ein kommoder, französischer Überbrücker für den Alltag gekauft, so wie vor einem Jahr der Mazda 121. Aber das ist eine andere Geschichte 😉 Ich freue mich über die Zerlegbarkeit von Elektromotoren aus der Epoche, ein intaktes und jetzt gut gefettetes Seil und die Tatsache, dass es selbst für den TÜV wichtigere Details gibt als ein Schiebedach. Sehe ich da dunkle Wolken am Horizont? Also nicht metaphorisch, sondern meteorologisch? Doch halt. Vorher wird es splatterig.
Es fließt Blut
Juristen und ihr Volk. Mein geschätzter Kollege LL.M. Lars ist in der Vergangenheit nicht immer pannenfrei durch seine eigenen Schraubervorhaben an der Westküste gekommen. Und das habe ich jetzt sehr diplomatisch ausgedrückt. Nach meiner Ankündigung, den Buckelvolvopiloten heute bei mir zu beherbergen und zum Mitbasteln zu nötigen drehten sich die meisten Kommentare um Blutkonserven, Verbandsmaterial und Notrufnummern 😀 Und deshalb muss ich hier mal eine juristische Lanze für den Guten brechen: Er hat sich tadellos betragen, war eine große Hilfe und konnte absolut nichts dafür, dass ICH mich in den Finger schnitt.
Fakten schaffen
Das Führungsseil ist zurück in seiner Hülse und hinten mit dem wieder eingebauten Motor sowie vorn mit dem Querblech verbunden. Die Schienen für die Hubwinkel sind satt und irgendwie grün gefettet, die Winkel sind eingebaut und mit dem Querblech und dem Seil verbunden. Die obere Abdeckung der Gleitschiene ist drin. Ein erster Test! SIIIRRRRRRR Die Winkel fahren vor und zurück. Das ist viel mehr als noch vor zwei Stunden 🙂 Aber sie heben und klappen sich nicht sorgenfrei. Sie verkanten und springen aus der Schiene. Oder sie verwinden sich. Hm. Liegt das nun daran, dass sie billig waren? Oder müssen die noch eingestellt werden?
Hier im wolkenverhangenen Gerichtshof fragen die beiden Winkeladvokaten sich, wo das Problem liegt. So richtig befriedigt das Ergebnis nicht. So kann das nicht bleiben. Aber wisst ihr was? Es ist erst Mittag, ich habe Lust auf Pizza und da liegt ja auch noch eine Wasserpumpe, die eingebaut werden will. Wollen wir es demnach nicht erstmal dabei belassen, dass Motor und Seil funktionieren? Und dass der Rest vielleicht mal von jemandem mit Sachverstand eingestellt werden muss? Oder dass gute, gebrauchte Hubwinkel von Mercedes die bessere Alternative sind? Es ist Zeit für Lars‘ Kekse. Krümelmonsterkekse.
Vereinzelt plippen Regentropfen auf meine Nase. Das ist nicht gut. Advokat LL.M. Lars und Doctor iuris Sandmann entscheiden sich kekskauend dafür, trotz glasklarem Tathergang und nachvollziehbaren Vorgehensweisen aller Beteiligten den Fall erst einmal ruhen zu lassen. Es müssen Experten herangezogen werden. Kennt ihr Schiebedach-Experten? Immer gern her damit. Während ich im Inneren von Helmut hocke (die Sitze sind nicht drin) und mit den vier kleinen Schrauben das Metalldach wieder einigermaßen an den Hubwinkeln fixiere, trommelt Petrus immer lauter seinen Beat. Da ist er ja, der Regen, der eigentlich für den Vormittag angekündigt war. Lars ist irgendwo draußen. Ich beeile mich.
Ich bin entspannt. Aber ich bin voller Kaffee und Brötchen. LL.M. Lars ist irgendwie wie ein Kamel. Der tut sich einmal was rein, das speichert er in einem unsichtbaren Höcker. Und dann funktioniert er stundenlang, ohne mal Pipi machen zu müssen oder was nachzulegen. Amazing. Ich schlage vor, den Benz unter die Plane zu fahren und mit einer Pizza die zweite Tageshälfte einzuläuten. Eine neue Wasserpumpe nebst Thermostat für den Reihensechszylinder liegt hier rum. Die alte macht mahlende Geräusche, ist verrostet und kleckert. Er nickt. Die Verhandlung wird bis auf weiteres vertagt, und wir widmen uns einem neuen Fall.
Rostet alte Liebe? Wie viele einzelne Baugruppen muss man entfernen, um an vier Schrauben der Wasserpumpe heranzukommen? Können die Reste des entdeckten Singvogelkadavers noch bestimmt werden? Was machen blaues und rotes Kühlwasser, wenn man sie mischt? Diese und viele weitere Fragen beantworten wir gern gemeinsam, aber nicht heute. Habt noch Geduld bis Samstag. Hier und bei Watt’n Schrauber, wir schreiben das parallel 😉 Und wenn sich unter euch jemand mit Hubwinkelerfahrung befindet – sei Teil der Geschichte. Wir brauchen da etwas Rat. In diesem Sinne.
Sandmann
Hallo auch,
vorweg: ich kenne so ein Schiebedachgedöns nur vom 700/900er Volvo.
Da ist in der Mechanik zum Schieben und Kippen noch je Seite eine Feder vorhanden und die ganze Mechanik funktioniert eigentlich nur vernünftig, wenn der Schiebedachdeckel korrekt montiert ist. Sonst hat das alles keinen Halt.
Vielleicht ist das beim Benz wenigstens ein bisschen ähnlich?
Viel Erfolg beim Basteln! 🙂
Viele Grüße!
Ay Björn,
diese Vermutung äußerte der Lars auch schon vor Ort, und auch im Netz wurde darüber spekuliert…..
Allerdings ging’s mit dem montierten Deckel auch nicht viel besser. Es hakelt und schiebt sich so, dass ich mich erstmal weigere, den Dachhimmel wieder einzubauen. Vielleicht ist auch die Dichtung ausgehärtet und hält es fest. Man weiß es nicht 🙁
Aber andere Baustellen sind wichtiger. Wir haben ja schon die Wasserpumpe bezwungen (das wird die kommende Geschichte), dann noch die Bremsen und das Blech und dann sollte Helmut wieder straßen- und TÜVtauglich sein 🙂 Yayyyyyyy.
Sandmann
„Was machen blaues und rotes Kühlwasser, wenn man sie mischt?“
Bei dem Alter von dem Zeug könnten es verklumpen. Heutzutage müssen die verschiedenen Frostschutze mischbar sein, auch wenn das weiterhin nicht empfohlen wird, früher halt nicht. Es sollte aber kein Problem sein, das ganze System mit dem Gartenschlauch durchzuspülen (Thermostat vorher raus und in beide Richtungen spülen! ) und dann komplett auf Rot umzusteigen.
Adios
Michael
Bester Michel, dessen Moped ich ihm bald bringen werde,
ich spüle ohnehin das ganze System. Da muss ordentlich was rein, Kalk lösen, säubern. Und dann nur Premium Krams. Mit Kühlmittel bin ich picky 🙂
Sandmann
Hallo Jens,
kennst du schon die Seite mercessource.com? Kent Bergsma hat da wirklich tolle Anleitungen zusammengestellt. Wenn man kein Problem mit der Sprache hat, dann sind die verdammt nützlich. Für deinen Fall gibt es auch ein paar. Suche mal unter „Manuals“ nach „tilting sunroof“ da gibt es auch eins zu den Einstellarbeiten. Auseinander habt ihr es ja schon. Leider sind die Videos zum Schiebedach kostenpflichtig. Der Mann macht das aber so gut verständlich und professionell, wie ich finde, daß ich auch schon mal ein Anleitungsvideo gekauft habe.
Ansonsten gibt es ja noch die WIS CD, die einem da weiterhelfen könnte.
Ay Marc.
Nein, die Seite kenne ich noch nicht, da schau ich die Tage mal rein. Vielen Dank für den Tipp!
Ja, es ist alles gangbar und schmatzig, die neuen Winkel sind nicht gebrochen, so gesehen sollte das funktionieren. Meine Hoffnung ist irgend jemand, der das schon 20 Mal gemacht hat und mit einem Blick sehen kann wo der Hammer hängt. Zur Not bringe ich den Wagen auch direkt zu Mercedes. Man muss ja nicht alles selbst machen 😉
Viele Grüße
Sandmann