Vadders HU Ballade – 1

Tief in den „Pacific“ tauchen

Eine Ballade ist, kurz umrissen, ein mehrstrophiges, erzähltes oder gesungenes Gedicht. „Mehrstrophig“ ist in diesem Fall eure Entscheidung. Entweder… singt ihr in heiterer Glühweinstimmung AAAALLE JAAAHRE WIIIIEDER und denkt „die Karre kenne ich doch…?“. Ja stimmt. Schwiegervadders Passat B4 35i, den hatte ich vor zwei Jahren schon einmal auf dem OP Tisch. Auch da, um ihn auf die Hauptuntersuchung (die Barden nennen das TÜV, obwohl’s so ja nicht ganz stimmt wenn man zur GTÜ 😀 fährt) vorzubereiten. Oder… ihr bleibt im Hier und Jetzt und ahnt vielleicht, dass es mehrere Strophen werden. Denn dieses Mal war die Bestandsaufnahme etwas… äh… krasser. In diesem Teil schlucke ich trocken. Im nächsten sind viele Menschen dabei. Und im dritten bin ich ganz alleine. Könnt ihr laut fluchen? Kommt ihr dann mit, bitte?

Jede klassische Ballade beginnt mit einer Autofahrt.

Noch kein Licht am Ende des Tunnels

Der Stau durch den Elbtunnel mäandert nach Süden, nur deshalb begebe ich mich in Lebensgefahr, um ein Foto am Steuer zu machen. Tandaradei. Schwiegervadders Passat wird eigentlich nur noch zum Einkaufen und für kleine Touren in die niedersächsischen Nachbarstädte genutzt, ansonsten steht er seit 20 Jahren so unter Birken rum. Unter der Motorhaube sieht der 1.8 Liter Benziner aus wie das Herz eines Jahreswagens. Außenrum zeigt sich der schwarze Variant eher wie ich. Viele Falten, ein paar Narben und nicht mehr der Jüngste. Aber sein Puls schlägt wacker, also nehme ich ihn für ein Wochenende mit zu mir nach Kiel und lasse meinen XM im nördlichen Niedersachsen unter den Birken stehen. Ich habe einen klaren Plan: Heute Abend noch eine kurze Bestandsaufnahme, morgen Schweißarbeiten und Kosmetik und dann in Kiel zum HU Termin.

Manchmal finde ich es hier richtig schön…

Wenn die niedersächsische Abendsonne die Blätter der bunten Herbstbäume streichelt packt mich immer eine Sehnsucht. Aber das ist eine andere Geschichte. Der Kraftfahrzeugwechsel ist vollzogen, ich rolle in einem 1996er Volkswagen mit der genügsamen 1.8 Liter Maschine in Richtung Kiel. Mein französisches Sofa hat mich ein wenig verzweifelt angeguckt, als ich in den verbeulten Volkswagen kletterte. Nein mein Bester, ich komme wieder. Ich komme immer wieder, und ich verspreche dir, dass auch dieses Mal am Ende alles gut wird. Und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende. Sowas röcheln sonst nur die Scorpions oder Norah Jones.

Hinter dem dritten rot beleuchteten Wohnwagen entlang der B75 (Anna, Lucille und jetzt Nina) steht ein bunt gekleideter Mann mit einer Laute und bittet um Mitnahme. Ich lasse ihn einsteigen und frage ihn nicht nach seinem Ziel. Er fängt augenblicklich leise an zu singen. Verzeiht mir an dieser Stelle meinen Hang zum Drama, aber inzwischen stehe ich unter dem Auto des Vaters meines halbfinnischen Fräulein Altonas und stecke meinen Zeigefinger durch verschiedene Bereiche des Unterbodens 🙁

Der Zahn der Zeit.

Ayayayay. Schon vor zwei Jahren dachte ich, dass der Passat rund um diese 5-Markstück-großen Gummistopfen im Unterboden nicht gut aussieht. Nun ist es amtlich. Die 5-Mark-Stücke sind nicht mehr da. An ihrer statt wäre nun eine Katze, die es sich unter dem Auto bequem macht in der Lage, den Teppich durch das Bodenblech zu sehen. Na herrlich. Mit dieser Menge an porösem Oxid hatte ich nicht gerechnet, aber die Stellen sind wenigstens alle mittig im Unterboden. Also singe ich nicht länger den Blues, sondern überlasse das Caspar, der mir seit gestern nicht mehr von der Seite weicht. Er hat schon seine Laute gestimmt, sitzt auf einem Stein im Garten und summt mit leicht überschränkten Beinen mittelalterliches Liedgut.

Ich hol mir ein kühles Bier und bau die Sitze und den kompletten Teppich aus dem Wagen aus. Bei VWs aus den 90ern geht das mit den Sitzen angenehm schnell, und da ich mich nicht an 30 Steuergeräten vorbeischälen muss ist auch der Teppich bald soweit zurückgebaut, dass ich das Elend an allen vier Stellen auch von oben sehen kann.

Nun. Das muss zu.

Über perfekte Schweißarbeiten brauchen wir uns nicht zu streiten 🙂 Ich kenne Menschen, die einen Radlauf auf Stoß so toll einpunkten können, dass man nicht mal spachteln muss. Am Unterboden eines Autos, was mit 2 Jahren TÜV nicht mal 1000€ wert ist (und mir auch emotional nicht sonderlich nahe steht) muss rostiges Blech vor allem großflächig raus, gesundes Blech sauber rein, alles fein geebnet und am Ende großzügig gegen neuen Rost geschützt werden. Schön mussas da nich. Während ich das Schweißgerät, die Flex, Blechtafel und Blechschere zusammensuche werde ich Zeuge, wie draußen auf dem Rasen Barde Caspar einem bekifft guckenden Reh gegenübersteht, was durch seine lieblichen Weisen angelockt wurde. Na super. Das junge Wildbret wird uns im Frühling wieder alle Rosenknospen abfressen. Caspar zitiert singend Goethe: „𝄞 Es geht vorüber, eh ich’s gewahr werde, ♬ und verwandelt sich, eh ich’s merke ♪“. Das Reh lächelt wissend.

Da muss härteres aufgefahren werden

Puh. Jetzt wird’s laut und schmutzig. Das erspare ich euch. Einigermaßen gut gelaunt flexe ich mich durch Schwiegervadders Unterboden, schnibbel wie damals im Spiel- und Bastelteil der Micky Maus Schablonen aus Pappe und schneide die Bleche zurecht. Sauberes Einpunkten, Schweißpunkte schruppen und verzinken und dann ordentlich mit Lack und dauerelastischer Dichtmasse gegen weiteren Rost schützen sind schnell gemacht. Caspar und seinem zarten Reh war das zu laut und zu dreckig. Die sind jetzt nebenan auf dem Spielplatz und lassen sich von den Nachbarskindern erklären, wer Rolf Zuckowski ist.

Passt und rostet nie wieder

Das Ergebnis ist ganz okay geworden, der Prüfer wird vor Begeisterung singen. Äh… nein lieber nicht. Nicht noch einer. Dass der Fensterheber auf der Fahrerseite klemmt und die ganze Fuhre seit einem kleinen Rempler vor einem Jahr leicht nach links zieht unterschlage ich jetzt mal. Ich nebel noch ein paar Kratzer rundrum ab und mach mir ein scharfes indisches Curry warm, während der Lack und die Schmatze trocknen. Die balladenfreie Zeit muss genutzt werden. Eigentlich ist dieser Variant ein ganz gutes Auto. Alles ist leicht zu reparieren, überall ist leichtes Rankommen und das Platzangebot ist sagenhaft. Vor fast 10 Jahren hat mich mein eigener Passat 35i „Rudolf“ Diesel immerhin sorgenfrei bis nach Südfrankreich gebracht. Egal. Ich werde mit diesem Auto trotzdem nicht mehr so warm, dass ich eins haben will.

Pause. Gleich geht’s los.

„𝄞 In Wies und Feld, in Wald und Au, horch, welch ein süßer Schall. Der Lerche Sang, der Wachtel Schlag ♬ die süße Nachtigall“. Der Barde ist wieder da. Jetzt ist er gar nicht mehr so unheilschwanger und von Vanitas-Metaphern gebeutelt. Bestimmt haben die Kinder ihm auch „In der Weihnachtsbäckerei“ beigebracht, ich muss mal fertig werden. Meine letzte Amtshandlung ist noch das grobe Einstellen des rechten Scheinwerfers. Der leuchtete quasi voll auf den Boden, so offensichtliche Mängel muss man ja nicht direkt mit zur Hauptuntersuchung nehmen. Auch hier begeistert mich der Volkswagen mit seiner Einfachheit. Ein bisschen oben mit dem 10er drehen – passt. Jetzt auf auf zum gut gelaunten Prüfer meines Vertrauens 🙂

Läuft. Was kann nun noch passieren?

Der gut gelaunte Prüfer meines Vertrauens ist angesichts des nahenden Feierabends tatsächlich gut gelaunt, das ändert sich allerdings, als der Passat unter der Hallendecke schwebt und wir drunter stehen.

  • „Jung, deine Hinterachslager haben es aber schon lange hinter sich. Die fallen ja bald raus!“
  • „Mit der Bremsleitung hinten rechts darf ich dich eigentlich gar nicht mehr vom Hof lassen. Die ist völlig am Ende. Versprichst du mir, auf dem Heimweg nicht zu bremsen…?“
  • „Geschweißt hast du gut, aber guck mal hier die Endspitze hast du vergessen…“ KNIRSCH *brösel*
  • „Oh, und da links auch.“ *stocher* KRACK *riesel*
  • „Das Traggelenk vorn links ist gut, aber das rechte hat mehrere Millimeter Spiel!“
  • „Sach mal kann das sein dass links vorn gar kein Domlager mehr drin ist?“ *wackel* KLONK *quietsch* „Nee die Feder liegt auf dem nackten Metall, Jung!“

Auf meine Frage, ob das denn alles so schlimm sei oder gar die Plakette verhindern würde, guckt er mich nur fassungslos an und lässt das Auto wieder auf den Boden sirren.

  • „Die hintere linke Tür ging doch schon letztes Mal nicht auf…?“
  • „Was ist mit der Wischwaschpumpe?“ klick klick wisch quietsch „Die pumpt nicht“.
  • *klack* „Sag mal die Rückfahrscheinwerfer…“ *klack* RACK „… die gehen auch nicht“.

Jetzt ist wirklich Ballade angesagt

„Warum bin ich vergänglich, o Zeus?“ so fragte die Schönheit. „Macht‘ ich doch“, sagte der Gott, „nur das Vergängliche schön.“
Und die Liebe, die Blumen, der Tau und die Jugend vernahmen’s; Alle gingen sie weg, weinend, von Jupiters Thron. Caspar zitiert erneut Goethe, als wir auf dem Weg über die A7 durch die Dunkelheit sind. Ich bin zu frustriert, um ihm seine Laute quer in den Hals zu rammen und ihn im Hamburger Hafen an einen Container nach China zu ketten. Das war nun eine ziemlich deutliche Absage nicht nur an die Plakette, sondern auch an die Verkehrssicherheit. Die übersehenen Rostlöcher sind kein Problem. Aber Hinterachslager… dazu muss sie abgesenkt werden und man braucht eine Presse! Und die Bremsleitung… und das Traggelenk kann auch eine Scheißarbeit sein, ich hab vor zwei Jahren ja erst das linke gemacht und weiß wovon ich spreche 🙁 Und der kleinteilige andere Mist… 🙁 🙁 🙁

Ein quasi weggerostetes Domlager erklärt wenigstens, warum der Wagen leicht nach Links zieht. Dass nach dem Abklemmen der Batterie das originale VW Alpha Radio nach einem Code fragt und niemand weiß, wo der ist macht es nicht besser. Ich lasse Caspars Gesänge und Gedichte noch bis zum rot beleuchteten Wohnwagen Nummer drei (Nina) über mich ergehen und werf‘ ihn dann raus. Während er vom Rotlicht sanft beschienen im Rückspiegel immer kleiner wird sehe ich Entscheidungen auf mich zukommen. Viel Geld soll nicht mehr in den Kahn fließen. Welche Werkstatt kann die Hinterachse und die Bremsleitung preiswert machen? Was mögen die Teile kosten?

  • Domlager
  • Federteller
  • Rückfahrschalter
  • Wischwaschpumpe
  • Türgriff und
  • noch mehr Blech

Ich ruf morgen mal Lars an, ob er nächstes Wochenende einen Tag Zeit hat. Entweder ziehen wir das jetzt durch – oder ich fahre den Kombi in die Presse und hol Vadder ein anderes altes Auto MIT gültiger HU. Jetzt bekommt er ihn erstmal wieder mit schlechten Nachrichten zurück.
Die Ballade geht weiter, es sind noch nicht alle Strophen gesungen.

Sandmann

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Über Sandmann

Die Zeit ist zu knapp für langweilige Autos, Abende vor dem Fernseher oder schlechten Wein. Ich pendel zwischen Liebe, Leben und Autos und komme nicht zur Ruhe. Aber ich arbeite daran.

10 Antworten zu Vadders HU Ballade – 1

  1. KLE sagt:

    Du hattest nicht wirklich nur EIN Traglager für den letzten TÜV gemacht, oder?

    • Sandmann sagt:

      Doch. Das andere war nicht beanstandet worden und ich hatte Zeitdruck. Und da ich erst spät, sehr spät zur Flex griff um diese vermaledeiten Schrauben abzutrennen hatte das länger gedauert als es eigentlich sollte 🙁
      Das zweite ging diesmal schneller. Und die Spur muss erst jetzt, nach dem Domlager, eingestellt werden.
      Sandmann

  2. pico24 sagt:

    ohje dann mal gutes gelingen! Habe meine BMW jetzt übern Tüv und bin erleichtert erstmal Ruhe zu haben. Gab aber gottseidank auch nichts schlimmes.

    • Sandmann sagt:

      Ay pico24,

      schlimm ist ja immer relativ. Andere restaurieren Wracks, die sie im Wald gefunden haben 😉 Es musste nur der Aufwand dem entsprechen, was man von diesem Auto noch erwartet. Der Passat ist kein Herz-Projekt. Er ist „nur“ Schwiegervadders Transportesel…
      Sandmann

  3. Sebastian sagt:

    Hy Sandmann,

    Bremsleitung gibt es auch fertig als Meterware, in 10 oder 20cm Stücklungen. Hab die bei meinen Golf verbaut.

    Die hinterachslager hab ich gerade an einem Polo mit ner Gewindestange eingezogen.

    MFG Sebastian

    • Sandmann sagt:

      Ay Sebastian,
      Gewindestangen sind das Mittel der Wahl in der Gemeinde – ich wählte aber eine freie Werkstatt. Und das war auch gut so, wie sich herausstellte 😀 Im nächsten teil mehr dazu.
      Ich habe hier bei mir 10 Meter KuNiFer Bremsleitung mit Bördelgerät, Biegegerät, Schneidegerät und Verbindern liegen. Das ist nicht das Problem. Die betreffende Bremsleitung hing aber an der Hinterachse, und da die wegen der neuen Lager sowieso abgesenkt werden muss habe ich das gleich in die Hände der betroffenen Werkstatt gelegt… Ich hatte da einfach keine Lust drauf 🙂
      Sandmann

  4. MainzMichel sagt:

    Seh‘ nur zu, dass Du den Wagen wieder hinbiegst. Das Ding ist zwar hässlich, aber gut.
     
    Adios
    Michael

  5. Michael sagt:

    Moin
    Leider bin ich 400km südlich von Hessen, sonst hätte ich dich auf meine Hebebühne eingeladen, deine Mängel sind alle machbar, Achslager schob zigmal gemacht…

    Gruß aus Hessen

    • Sandmann sagt:

      Ay Michael,
      das ist nett von dir. Na klar ist das alles machbar, ich hatte auf ein paar Sachen nur KEINEN BOCK 😉 Im Nachhinein stellte sich heraus, dass das Domlager noch störrischer war als die Hinterachse. Aber wir können ja zaubern. Teil 2 kommt dieser Tage. Und dann Teil 3……
      Grüße aus dem Norden
      Sandmann

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