Möp hin, Bus zurück

Viele Köche verbessern den Brei

Ab heute wird es erstmal zweirädrig 🙂 Die (vermutlich) legendäre „Herr S. ist 50 und wir fahren wieder mit den Mofas nach Dänemark“ Tour steht an, und meine 1963er Zündapp Super Combinette 433 scheppert und klappert mehr, als sie sollte. Das sorgt mich angesichts der Etappe quer durch das Pølserland, man möchte dem ADAC nicht erklären warum man in Esbjerg mit einem Kolbenklemmer havariert ist. Also erbitte ich eine Audienz bei Timur, der kann Mopeds und hat auch alles zum einstellen und abdichten da. Es ist Dienstag Abend, die oldschool Motorenwerkstatt ist leer und das Ziffernblatt der Uhr ist nach hinten offen. Außerdem gibt es ja noch Carsten. Das… ist auch gut so 🙁 Aber fangen wir von vorn an.

Vorn ist immer ein Hinweg, diesmal zweigetaktet auf eigener Achse.

MÖÖÖÖÖÖHHHHH!

So eine Zündapp aus süddeutscher Produktion läuft eigentlich immer, wenn sie mindestens einen Zündfunken und Benzin hat. Diese auch. Vielleicht erinnert ihr euch ja an meinen Neuerwerb vor ein paar Monaten  🙂 Die Madame rennt mit ihren drei handgeschalteten Gängen knappe 60 km/h, springt gut an, stirbt nicht ab – aber scheppert. Im Motor. Und sie zieht im warmen Zustand nicht gut, mehr so MOOOOORF als BRÄÄÄÄÄÄHHHH. Ich habe ein paar neue Simmerringe, eine neue Lichtmaschine (also die Platte unter dem Polrad mit Zündspule, Kondensator und Unterbrecher) und einen kompletten neuen Vergaser dabei. Und vier Flens. Man weiß ja nie.

Nur vier Bier??

Von Kiel Russee an den Südfriedhof sind es nur 10 Minuten, und kurz vorm Ziel gerate ich ins Schwärmen 🙂 Hier war mein Zuhause, als ich noch studierte. Hier habe ich in der „Erbse“ gekellnert und hier bin ich Taxi gefahren. Mann, ist das lange her. Vor der Werkstatt (früher war das mal Ölfuß, den kennt man aus den Werner Comics) sitzen gut gelaunte Menschen im Kreis. Ich berichte den Fremden stolz, dass ich vier Bier als Eintrittskarte dabei habe. Sie lachen mich aus, klopfen sich auf die Schenkel und wuchten drei frische 30er-Kisten Holsten Edel in die Kühltruhe.

Erstmal ein Holsten

Timur arbeitet noch. Der Mann besteht eigentlich nur aus Haaren, Fachwissen und guter Laune. Wir haben vor fünf Jahren zusammen die Ventile am Taunus eingestellt und die kontaktlose Zündung eingebaut. Vielleicht habt ihr da noch ein Bild vor Augen. Erstmal ein Bier. Eins oder zwei darf ich ja über den Abend verteilt trinken, um fahrtüchtig zu bleiben. Wir kalauern ein bisschen vor uns hin und tragen das nötige Werkzeug zusammen, wobei hier sowieso überall welches rumliegt.

Keiner geht heim

Chef Bosse bastelt hinten noch an seinem eigenen Moped, überall sind mehr oder weniger wuchtige Motoren aufgebockt und werden hier zu normalen Zeiten fachmännisch aufgearbeitet oder repariert. Das scheint so viel Laune zu machen, dass niemand so richtig nach Hause geht. Einige wohnen gleich um die Ecke und trinken schneller als ich. Herrlich 🙂 Wir nehmen erstmal den kleinen Zylinder der Zündapp runter, um ihn und den Kolben zu vermessen und Pleuel plus Kurbelwelle zu checken.

Kölbchen raus zum Vermessen

Ah. Nadellager. Sehr gut, ich kann also Gemisch 1:50 fahren 🙂 Das Polrad ist auch schnell abgezogen, darunter sitzt die runde Kontaktplatte mit den Zündutensilien drauf. Es scheint noch die originale aus der Kaiserzeit zu sein, also datieren die Bauteile aus 1963. Aber ein Zündfunken ist da, und ich hab ja Neukram dabei. Wenn auch Neukram aus chinesischer Produktion, die ursprünglichen Teile von BOSCH werden nicht mehr hergestellt 🙁 Aber man sagt, wenn diese Shing Shang Shongs funktionieren – dann funktionieren die. Wenn nicht, dann nicht. Unter dem abgenommenen, seitlichen Deckel des 50ccm Super Combinetten Motors wird außerdem sehr schnell klar, dass auch beide Ritzel und die Kette ihre beste Zeit hinter sich haben. Ayayay.

etwas klapperig

Mein erstes Bier ist leer, und ich hebel mein grünes Feuerzeug aus Otranto unter den Kronkorken von Holsten Edel Nummer zwei. Genaugenommen ist das ein Verrat an mir selbst und allem, woran ich oberflächlich glaube. Ich bin ja Weintrinker. Wenn ich mal Bier schlürfe, dann ist das ein großes Andechs Doppelbock Dunkel oder ein kaltes Astra.

Astra versus Holsten

Nun mögen die genussreichen, hippen Craft Beer Trinker unter euch den Unterschied zwischen profanem Astra und ordinärem Holsten nicht so ganz sehen, aber glaubt mir: Da ist einer. Astra ist Sankt Pauli, Gianna Nanini im Stadtpark und H-Kennzeichen. Holsten ist HSV, All-Inclusive Kreuzfahrt nach Spanien und geleaster SUV. Ich bin mehr Astra. Keiner hier will mein Flens aus dem Rucksack. Das Holsten aus der Kühle ist kalt. Also Holsten. Verdammt.

Das sieht alles gut aus.

Während Timur den Kolben und die Zylinderlaufbahnen vermisst und sehr zufrieden aussieht, erscheint aus dem Kreis der Draußen Trinker Adrian. Der ist ein Kumpel von „meinem“ Alex, wir kennen uns und er erzählt mir von Carsten. Carsten revidiert komplette Moped-Motoren zum Festpreis plus unerwartete Ersatzteile, also alle Dichtungen und Simmerringe inklusive. Momentan denken wir, dass das wohl nicht nötig sei. Und dann lässt Timur das Getriebeöl ab. Es ist hellbraun wie Cappuccino, riecht ein wenig nach Benzin und hat kleine Wasserbläschen oben schwimmen. Nicht gut.

Cappuccino im Getriebe

„Da is was nicht dicht, da kommt Sprit ins Öl.“ Oh. Ein junger, unbekannter Typ kommt aus dem Dunkel in die Werkstatt und fragt, ob hier jemand Stil hat. Ich gebe ihm schweigend ein lauwarmes Flens aus meinem Rucksack. Endlich. Er guckt mich dankbar an, ich habe ihn seit dem nicht wieder gesehen.

Mehr Milchkaffee als Mokka

Die Kupplungsscheiben sind quasi nicht mehr da, überall gloddert diese hellbraune Schlotze und auf der Kurbelwelle steckt der Rest eines Lagers. Keine Kugeln oder Nadeln mehr, nur ein paar Metallfragmente. Das ist der Moment, wo ich mir Holsten Edel Nummer 3 aufmache, denn ich glaube nicht, dass ich heute noch selbst fahren muss. Carsten. Wer ist dieser Carsten, und warum? Timur kennt ihn, Adrian kennt ihn. Er ist der norddeutsche Godfather der Mopedmotoren, was man ihm gibt kommt gesund zurück. Das hat auch seinen Preis, aber hier und heute kommen wir ohne seine Magie nicht weiter. Ich gucke die sechs Simmerringe an, die ich mitgebracht habe und werde mir erneut darüber bewusst, dass das Leben mit altem Kram nicht so einfach ist, wie es sein könnte.

Ab hier kommt dann Carsten

„Wir geben das Carsten. Mach das mal ordentlich jetzt.“ Holsten Edel Nummer vier. Immerhin ist das kalt. Es ist später, als es an einem ganz normalen Alltags-Dienstag sein sollte und Adrian guckt schon in zwei Richtungen gleichzeitig. Timur, der heute Abend mehr Biere getrunken hat als ich in einem ganzen Monat fachsimpelt mit seinem Chef Bosse aufgeräumt über dessen eigenen, italienischen Exoten, der inzwischen anspringt und lärmt. Nach wenigen Minuten ist alles voller erstickendem Benzin-Ölqualm, alle sind glücklich und die meisten gehen nun nach Hause. Holsten Nummer fünf ist offen.

Ich will nach Hause

Wie komme ich denn ohne Moped nachher hier weg? Zu Fuß is‘ ein bisschen weit, Taxi ist zu teuer und die Busse fahren um diese Zeit nur noch ab ZOB. Aber der ist fußläufig erreichbar. Adrian verspricht leicht lallend, meinen Motor diesem geheimnisvollen Carsten zu geben. Der macht das schon. Zwei Wochen. Ich soll mal’n Kettensatz kaufen. Mit Ritzeln (dabei das tz sprechen wie zzz). Und neue Bowwwwdenzüge. Timur sagt er räumt das alles hier morgen dann auf. Gibt’s noch Bier?

Sodenn, schlaf schön Möp

Zwei Wochen für den Moder sind völlig okay, ich will erst Ende September los. Hab ich euch das schon erzählt? Als ich 18 war, sind Herr S. und ich mit unseren Mopeds von Plön über Kopenhagen nach Henne Strand an der dänischen Westküste gefahren. Anno 2013 haben wir wieder so eine Tour gerissen, und die war regelrecht… episch. Klickt mal hier und die folgenden Geschichten. Damals™ schworen wir uns, nach dem 50. Geburtstag des Herrn S. diese Tour erneut zu wagen. Nun. Er ist jetzt 50 🙂 und demnächst soll das losgehen. Deshalb dieser Punk mit der Zündapp, Herr S. hat sich jüngst ein Ciao Einsitzer Moped gekauft. Möge das besser in Schuss sein, aber ich habe ja angeblich Carsten und die Unterstützung von Timur und Adrian. Prost.

Kiel bei Nacht

Meine unerschütterliche „Alles wird gut“ Euphorie ist ein wenig erschüttert, denn es ist schon fast Mitternacht und ich muss morgen eine Menge arbeiten und texten. Der Nachtbus von der City zur Casa Sandmann ist 35 Minuten unterwegs, und ich bin noch nicht einmal am Hauptbahnhof. Der ist dann ja doch von hier weiter weg als ich erinnere, mit Anfang 20 erschienen diese Strecken noch kürzer. Etwas die Laune einschränkend ist auch die Ungewissheit, wie es mit meinem Moped weitergeht. Carsten. Und dann? Geld bezahlen. Zusammenbauen und hoffen. Alles einstellen. Was, wenn Timur und Adrian dann keine Zeit haben? Die sind ja nicht meine privaten Lakaien 🙁 Ich trinke mein Bier aus und mach das letzte für den Weg auf. Hier im Norden nennt man das Fuß-Pils.

Kunst in der Nacht

Zentraler Omnibus Bahnhof Kiel. Die amberfarbene Anzeigetafel der Linie 62 sagt, dass ich sie um drei Minuten verpasst habe. Egal jetzt. Ich setze mich auf die Bank für alte Männer, gucke fasziniert auf kindliche Kreidezeichnungen auf dem Fußboden und versuche die scharf zu stellen. Holsten Edel macht komische Sachen mit dir. Ich bin hin- und hergerissen zwischen einer angenehmen Heiterkeit ob der vielen Biere in der warmen Spätsommernacht und einer schleichenden Depression wegen der überraschend großen Zündapp-Probleme. Sollen Herr S. und ich doch lieber mit dem Auto fahren? Nein. Wo bleibt da der Spaß?

Vertagen, vertagen

Carsten wird es richten, behaupten andere. Aber nicht mehr heute Abend. Ich habe noch ein fast volles Holsten Edel, alles wird gut. Während ein bärtiger Obdachloser in den Mülleimern nach Pfandflaschen stochert und eine abwesend guckende Mutter ihr glockenwaches Baby stillt tropfen die Minuten dahin. Kiel, mein Kiel. Damals wie heute. Die Turmuhr vom Rathaus schlägt Mitternacht. Hallo Mittwoch! Da kommt mein Bus.

Nach Mitternacht

Das war nun so nicht geplant, aber ich habe ja noch etwas Zeit bis zur Dänemark Tour. Lieber heute die Erkenntnis, dass hier echt ganz schön was gerichtet werden muss – als ein geplatzter Motor zwischen Varde und Nr. Nebel 😉 Während die 62 sich durch schlimme Wohn-Vorhöllen aus roten Backsteinen mit schwarzen Carports schlängelt (man nennt diese deprimierende Kombination aus Trennungsgründen und quadratmeterweiser Horizontbefreiung „Berliner Viertel“) lasse ich innerlich los. Jetzt scheint dieser Carsten das Zünglein an der Waage zu sein. Es ist nur ein altes Moped, und es war ein lustiger Abend ganz im Zeichen des nicht protokollierten, bierhumorigen Herrenwitzes. Ich bin zu Hause, steige aus und wünsche dem Busfahrer eine gute Nacht. Und euch auch. Erstmal.

Sandmann

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Über Sandmann

Die Zeit ist zu knapp für langweilige Autos, Abende vor dem Fernseher oder schlechten Wein. Ich pendel zwischen Liebe, Leben und Autos und komme nicht zur Ruhe. Aber ich arbeite daran.

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