ALLES MUSS RAUS – Citroën XM

Irgendwas ist ja immer

Ein ausgeweideter Franzose ohne Motor und Antriebswellen, ohne Zentralydraulik und Bremsen. Das Baguette aus Rennes muss irgendwie auf öffentlichen Straßen rüber in die neue Wohnung. Ich mag Vergleiche, und ich bin mir sicher dass Menschen, die schon einmal den Mount Everest ohne Atemgerät bestiegen haben, jetzt herablassend lächeln. Auch wer je mit dem eigenen Fiat Multipla vor einem Supermarkt geparkt hat weiß, wie hart das Leben austeilen kann. Wir sind hier aber in Kiel, da gibt’s keine Berge und keine Geschmacksfehlstellungen aus Turin. Es gibt nur den Alex, mich, einen doppelachsigen Trailer und diesen Citroën XM auf einer Distanz von vielleicht… fünf Kilometern. Was kann da schon schiefgehen? 😂 Folgt mir in einen neuen Grund für meine grauen Haare.

Ja genau. Was kann denn schon passieren?

Der muss da nun weg

Der Trailer und der Benz stehen von der Granada Aktion vorhin bereit und hindern eine patzige Nachbarin daran, ihren Beruf minutiös getaktet auszuüben. Wir missbrauchen erneut den Audi A3 vom Alex, um das französische Oberklassegefährt aus dem hinteren Hof auf die Straße zu drücken. Mit einer Hydropneumatik steht man vor völlig anderen Problemen als der Multiplafahrer. Der wird zwar gesellschaftlich ausgegrenzt, kann aber fahren und bremsen. Der Citroën wiederum fällt gesellschaftlich nicht ins Gewicht, fährt aber nicht. Primär weil der Motor daneben steht. In diesem Zusammenhang bremst er auch nicht, weil kein Hydraulikdruck mehr durch das System mäandert. Das wiederum ist auch der Grund, warum er wie der um Sauerstoff ringende Bergsteiger über 7.000 Metern flach auf dem Boden liegt. Bekommen wir den trotzdem auf den Trailer? Diese Frage stelle ich mir etwas zu spät. Aber hey – wir haben ja die Schleppstange!

Ist ja nur für kurz mal raufschieben

Schleppstangen sind eine großartige Erfindung, vor allem, wenn sie nach jahrelanger, beiläufiger Lagerung nicht mehr vollständig sind. Für die Rangiererei auf dem Hof muss als Splint also ein billiger Schraubendreher herhalten. Und dann auf der Straße (so der Plan) drücken wir den Franzosen mit der Stange schwungvoll die Rampen hoch. Vielleicht erinnert ihr euch, die Winde am Anhänger hat keinen Hebel. Aber was einmal beim Granada ging, geht doch auch ein zweites Mal 😁 Theeeeoooooo, spann den Wagen an. Denn der Wind treibt Regen über’s Land. Ja klasse. Das Lied werde ich jetzt nicht mehr los. Theo? Oder Hejo? Hallo?

Geht schon irgendwie

**BRUMM **DRÖHN **RAUCH. Das stoische Drehmoment der Ingolstädter Kompaktklasse radiert Gummi auf die Gartenplatten und erweist sich als prima Unkrautfraise. Ungezählte Generationen von erschrockenen Ameisen verlassen fluchtartig ihre Erdhöhlen unter dem Beton, während der Citroën quietschend und knarrend langsam rückwärts rollt. Immerhin lässt sich die Lenkung noch mechanisch bedienen, alle anderen Lebensfunktionen meines Autos sind nicht mehr aktiv. Mir kriecht ein ungutes Gefühl langsam über den Rücken in Richtung Nacken. Bergsteiger und Multiplafahrer fragen sich wie Engelchen und Teufelchen links und rechts auf meinen Schultern, ob wir den XM wirklich auf den Trailer geschoben bekommen. Langfristig fragt sich der Realist in mir, ob ich es jemals schaffen werde, diesen Motor und die komplette Peripherie da wieder fachgerecht einzubauen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Zweifel? Kaum…

Das fühlt sich alles **nicht** gut an. Einmal noch durchs spießige Neubaugebiet, wo immer gleich aussehende Klinkerbunker dicht an dicht zwischen Kirschlorbeerhecken und Carports auf den sicheren Zerfall junger Familien warten. Hier habe ich schon die skeptische Präsenz der hochverschuldeten und todunglücklichen Familienväter während der Reparatur meines Kupplungsseils gefürchtet. Heute kommt niemand raus, vielleicht weil der Wind Regen über’s Land treibt. Theo? Tatsächlich habe ich gerade auch gar keine Kapazitäten im Kopf für offensichtlich fehlende Teile an meinem Auto, kritische Blicke auf Bodenfreiheiten oder unsicher genuschelte Vorwürfe voller Vokabeln wie „Stützlast“, „zulässiges Gesamtgewicht“ oder „korrekte Ladungssicherung“. Der XM ist soweit ausgerichtet, dass Theeeooooo mit der Schleppstange den angespannten Wagen auf den Trailer schieben kann. Meinetwegen auch bis nach Lodz. Ah shit NOCH ein Ohrwurm 😒

So. Und jetzt?

Was kann also noch passieren? 😂 Nichts, außer dass da der Winkel oben zwischen den Rampen und dem Trailer ist. Kein großer Winkel, würde der Held auf dem Mount Everest sagen. Aber bei einem 1.5 Tonnen schweren Fahrzeug, was tiefer auf dem Boden liegt als jeder getunte Opel Astra in der Warteschlange bei McDrive, meldet sich das mathematische Problem am Break even Point akustisch einigermaßen deutlich. Wuchtig, abrupt und klanglich katastrophal. Ich habe davon keine Fotos gemacht, weil ich mit Tränen in den Augen und Metallsplittern in den Ohren vor einer brutal verbogenen Schleppstange stehe und mit Alex diskutiere, was wir jetzt machen können. Derweil kühlt die vom Trailer geschmiedete Quertraverse unter dem Auto wieder ab, und es kommen nun doch erste Neubau-Nachbarn aus ihren Carports geschlichen.

Und jetzt einfach rauf da?

Den kriegen wir da nich rauf. So nich. Niemals.“ Alex ist ekelerregend direkt. Von Keilen, die man zwischen die Achsen und die Karosserie eines aufgebockten Citroëns klemmen kann (um ihn so auch ohne Hydraulikdruck oben zu halten) erfahre ich erst eine Woche später. Die kaltverformte Schleppstange und die schwarzen Spuren auf dem Pflaster sprechen ein klares Französisch 🥖  Jetzt brauchen wir Pragmatismus. Der Wagen muss weg. Heute. „Ist er zugelassen? Hat er TÜV?“ Alex raucht und krault nachdenklich seinen Bart. Ich antworte auf beide Fragen mit „Ja, euer Ehren“ und lege nach: „Komm, lass uns den schleppen. Egal jetzt. Ich hab da noch ne andere Schleppstange. Ich hol nicht die gold’nen Garben aber ne Batterie, vielleicht geht ja der Warnblinker…?“ Alex guckt in den leeren Motorraum, schnippt mit den Fingern gegen ein hirntotes Steuergerät und schmunzelt.

Jetzt nur noch Metallschrott

Holt die gold’nen Garben, holt die gold’nen Ga_ha_harben 🎶 Kurz bevor der Wahnsinn das Gehirn übernimmt steigt weißer Rauch aus den Ohren. Die Batterie ist drin, mit einem Spanngurt am Radkasten gesichert. Die Klemmen des offenen Kabelbaums stecken auf den Polen, und der Warnblinker – funktioniert 😁 Sagenhaft. Klick Klack Klick Klack. Das finde ich aus elektrischer Sicht beeindruckend. Wir werden also jetzt dieses Kraftfahrzeug am hydraulischen Tiefpunkt seines Lebens ohne Bremsen und ohne Motor in sein neues Zuhause schleppen. Hurra. Ich glaube so illegal ist das gar nicht, aber die Idee fühlt sich für mich an wie mit 16 während der Chemiestunde nackt ins Lehrerzimmer zu rennen und dabei MANAMANA BADIIIIBIDIBI zu schmettern. Oder einen Klassiker von Vicky Leandros. Argh. Schnell jetzt. Alles einpacken und ab dafür, bevor einer der Kirschlorbeer-Nachbarn die 110 wählt. Theeeeoooooo — wir fahr’n nach Lodz!

Im Sturzflug durch Kiel, immer innerhalb der Geschwindigkeitsbegrenzung, aber definitiv nicht langsam. Mister Mount Everest sieht das Problem nicht, weil er eher in die Höhe geht als am Boden liegt. Der Multiplafahrer versteht wenigstens ansatzweise die Panik, die ich habe. Er kennt das, weil er auf jeder Tour Angst haben muss, intelligentem Leben zu begegnen, was ihn dann auslacht. Mich triggert vor allem der Satz „Schönen guten Tag, allgemeine Verkehrskontrolle. Die Papiere bitte…“ 😐 Die habe ich sogar dabei. Aber eben den Motor nicht, ob das wichtig wäre?

Mir fehlen grundlegende Erinnerungen an diese 10 Minuten Fahrt durch Kiel. In meinem Gehirn dudelt die Tetris Melodie auf Dauerschleife, während ich das Lenkrad fest umklammert halte und so dicht an Alex‘ Audi dran bin dass ich die TÜV Plakette lesen kann. Er tritt den TDI da vorn beherzt über den Asphalt. Ich schreie immer wieder und spüre wieder diese Machtlosigkeit, wie 1986 im Big Loop im Heidepark Soltau, wenn man den großen Berg hochgezogen wird. Vom Bügel in den Sitz gedrückt geht es immer höher, bis in die Wolken, und man fragt sich ob man eigentlich noch alle Latten am Zaun hat. Aber man kann nicht mehr zurück. Dann, ganz oben, kommt dieses klack klack_klack klack_klack_klack RUUUUUMMMMMM und alles wird Geschwindigkeit und ist vertikal auf das kurz bevorstehende Lebensende ausgerichtet.

Auf in eine neue Runde

Zu Hause. Nichts ist passiert kann ich so nicht behaupten, aber keiner wurde verletzt. Mein Citroën XM 2.0 Turbo CT Pallas steht in der großen Garage. Alex raucht schweigend. Mein Kopf ist seltsam wattiert. Der metaphorische Besteiger am Mount Everest ist nicht da, um angesichts seiner eigenen heroischen Taten herablassend zu lächeln. Wahrscheinlich erfriert er gerade in einer Gletscherspalte. Auch der Multiplafahrer ist längst wieder zu Hause bei seiner Frau, die genau so praktisch ist wie sein Auto. So haben wir alle unsere kleinen und großen Sorgen – ich habe jetzt eine weniger. Allerdings sind meine Schläfen seit diesem Tag im Mai grau.

Ich muss noch einmal zurück. Das Schlachtfahrzeug steht da noch, und 10 Kartons voller Ersatzteile. Aber nicht heute. Ich arbeite daran, die Tetris Melodie wieder aus meinem Kopf löschen. Und Theeeeeooo spann den Wagen an. Ist gar nicht Theo. Ist Hejooooo. Na und? Aber Theoooooooo wir fahr’n nach Lodz. Vielleicht werde ich langsam bekloppt. Darauf ein Glas Rotwein.

Sandmann

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Über Sandmann

Die Zeit ist zu knapp für langweilige Autos, Abende vor dem Fernseher oder schlechten Wein. Ich pendel zwischen Liebe, Leben und Autos und komme nicht zur Ruhe. Aber ich arbeite daran.

15 Antworten zu ALLES MUSS RAUS – Citroën XM

  1. pico sagt:

    Ich habe vor kurzem einen Tesla S aus einem Parkhaus mit Spirale runtergeschoben und hatte dann auch das problem ihn auf den Trailer zu bekommen -ging mit viel ach und viel Krach und zusätzlichen Auffahrrampen.
    Die Schwierigkeit war da auch dass das Luftfahrwerk komplett unten war und die Elektrik nur rudimentär funktionierte.
    -In dem Sinne: ich fühle die Story

    • Sandmann sagt:

      Ay Pico,

      es hätte beim XM einen einfachen Trick gegeben: Den Wagen mit dem Rangierwagenheber aufbocken und an zwei bestimmten Stellen Keile zwischen die Schwinge und den Rahmen klemmen. Ich bin ja nicht der erste, der vor dem Problem steht 😉 Dieser Gedanke, dass es eben NICHT so wie geplant gehen könnte kam mir allerdings erst, als der Unterboden über den Trailer kratzte. Und das mit den Keilen lernte ich anschließend, als ich im Forum jammerte.
      Für einen Tesla wird es ähnliche Dinge geben. Vermutlich sogar einen Keil als App oder so 😂

      Rock’n Roll
      Sandmann

  2. Thorsten sagt:

    Ey Sandmann,
    ich hatte vor 2 Jahren mit einem 6m-Trailer und einem Nilsson-Stretch das gleiche Problem. Hab den Trailer abgehängt und mit dem Stützrad die Deichsel hochgedrückt, dann wird der Winkel kleiner. Hat geklappt, aber ich geb zu, das nicht jedes Stützrad das mitmacht.
    In diesem Sinne, Pragmatismus rulez.

    • Sandmann sagt:

      Ay Thorsten,

      Nilsson Stretch? Volvo? Krass, hast du ein Bild?
      Stimmt, Stützrad hochdrehen würde den Winkel verkleinern. So weit habe ich im Eifer des Gefechts gar nicht gedacht… Aber nächstes Mal weiß ich ja auch, dass es Keile gibt, mit denen man das Hydractiv Fahrwerk fixieren kann. Oder noch besser – ich bau einfach nie mehr einen Motor aus 😂
      Lösungen sind gut. Aufgeben mag ich nicht. Und bisher ist nie was gravierendes passiert…
      Rock on!
      Sandmann

      • Thorsten sagt:

        Ey Sandmann,
        ich hab das Ding für meinen Arbeitgeber auf eine Messe mitgeschleppt:

        Stretchlimousinenkicker

        Klassieker Buers

        Hat zur Folge gehabt, das ich einen Tag länger im Hotel bleiben durfte, weil nur unser Sprinter (LKW) genug Anhängelast hatte. Bei lecker Rumpsteak und Leffe war das aber erträglich,

        Weitermachen!

  3. Bronx sagt:

    Moin Sandmann,

    „Aber bei einem 1.5 Tonnen schweren Fahrzeug, was tiefer auf dem Boden liegt als jeder getunte Opel Astra in der Warteschlange bei McDrive, meldet sich das mathematische Problem am Break even Point akustisch einigermaßen deutlich. Wuchtig, abrupt und klanglich katastrophal.“
    —————————————————————————

    Umformtechnik. Besteht immer aus einem plastischen und elastischen Teil. Ersterer war bei euch wohl die alles überschattende Größe. Der zweite Teil kam gar nicht erst zum Zuge.
    Gut das nichts weiter passiert ist und keiner von Euch zu Schaden kam.

    Augenzwinkernde Grüße von dem mit der Duplexkette. 😉

    • Sandmann sagt:

      Ay Duplexkettenscheucher,

      im Nachhinein bin ich ganz froh, dass die Schleppstange die Grätsche gemacht hat – und nicht irgendwas wichtigeres am Unterboden vom XM. Da ist so eine Stahltraverse quer unter dem Schalldämpfer, die hat vieles verhindert 😉 Leider auch das Aufladen…

      Es wird ruhiger. Der Scorpio ist auch weg. Und viele viele Ersatzteile und Motoren. Wir werden sprechen.
      Grüße in den schönen Osten!
      Sandmann

      • Bronx sagt:

        „Es wird ruhiger. Der Scorpio ist auch weg. Und viele viele Ersatzteile und Motoren. Wir werden sprechen.“
        —————————————————————

        Das freut mich sehr. Und beruhigt. 😉
        —————————————————————

        ‚Wenn man bedenkt das wir alle verrückt sind, ist das Leben erklärt!‘

        Bis bald mal wieder. 🙂

  4. kupy sagt:

    Oh Mann, da fühlt und zittert man ja beim Lesen mit – und atmet am Ende auf! Noch mehr solcher Geschichten (die das Leben bzw. der Sandmann schreibt), und der gefesselte Leser partizipiert ebenso an den (noch mehr) grauen Haaren! Ist alles Gewichtige inzwischen denn sicher umgelagert?
    Nie unterkriegen lassen! Keep on schraubing! 🙂

    • Sandmann sagt:

      Ay kupy,

      ich bin ja inzwischen fast ein Jahr im Verzug und schreibe nach und nach hinterher 😉 Ja, nun hat alles seine Ordnung, ich miste aus und ich kann mich mal wieder um die wirklich wichtigen Dinge im Leben kümmern.

      Am Ende wird alles gut. Und wenn es noch nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende. In diesem Sinne ein schönes Wochenende!
      Sandmann

  5. Outdoor survivor sagt:

    hehe. das ist ja harmlos! mit 2 schrottreife Autos durch Halle, im Winter, mit 100 km h, 2 m nah oder näher, bei Glatteis, rennen spielen. AEH , den beiden Schrottplatz Kandidaten auf slicks mit kaputten Motoren die letzte Ehre erteilen! war mein krassestes Ding xD. abschleppen.. oder.. Bundesstraße auf Montage Job beidseitig bei Verkehrsinseln rennen fahren, ischa normal. bis 25. 28. dann lässt man das xD. wegen der Führerschein Neuregelung. der alte Lappen ist Gold wert! aber Spaß hat es gemacht. jaaa!!!

    • Sandmann sagt:

      Alter Schwede 😐 Oder alter Haller, oder sowas…..
      Ja man wird irgendwann ruhiger, wenn du das so schreibst denke ich nur ihr könnt froh sein, dass damals niemand zu Schaden gekommen ist. Bei solchen Rennen sind in Hamburg schon Fußgänger ums Leben gekommen.
      Also #klopfaufholz und ruhiger werden 😉
      Sandmann

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